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49 Stunden

49 Stunden

Titel: 49 Stunden
Autoren: Amanda McLean
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die Tränen liefen ihr in den Mund – Tränen der Angst, die salzig schmeckten. Bis vor Kurzem war sie sich nicht einmal sicher gewesen, dass sie fähig war zu weinen, um einen Liebenden zu weinen. Als ihr Großvater vor einigen Jahren starb, hatte sie keine Träne vergossen, auch nicht, als sie von zuhause wegging. Doch diese Tropfen auf ihren Lippen waren der Beweis, dass Richterin Mary Walters doch sensibel war.
    ›› Katie‹‹, sagte sie leise in den Wind, ››gleich werden wir wieder zusammen sein, und ich werde dich nie wieder loslassen.‹‹
    Wer niemals in dieser Situation war, konnte es nicht nachempfinden, diese Qual, dieses Herzzerreißen, dieses Verlustgefühl, diese unendliche Sehnsucht.
Mary betete zu Gott, dass er ihr Katie wiederbringen würde. Sie betete, dass es ihrem kleinen Mädchen gut ging.
    Dann setzte sie den ersten Schritt auf den Pier, ging ins Innere, wo es nicht so kalt und windig war, vorbei an Bubba Gump, an McDonald`s, am Food Court, wo es Mexikanisches und Chinesisches Essen gab, vorbei an den Toiletten, vorbei an den kleinen Ständen, die Chicago-T-Shirts und -Cappies anboten, vorbei am Eisstand, an dem Laden, der die leckeren schokolierten Früchte verkaufte, die sie seit Jahren nicht gegessen hatte, vorbei am Stand mit gebrannten Erdnüssen, vorbei an den Souvenirläden und Touristen aus aller Welt.
    Dann trat sie aus dem Shopping-Gebäude, hinaus auf die Seite des Piers, die bevölkert war von vielen kleinen aufgeregten Kindern, die an der Seite ihrer Eltern auf und ab sprangen. Auf der anderen Seite des Piers waren nur die Parkgaragen.
Sie ging ein paar Schritte und war jetzt genau unter dem Riesenrad - nur ein paar Stufen trennten sie davon. Wenn sie hoch blickte, sah sie das große Schild: NAVY PIER.
    Sie sah auf die Uhr und erkannte, dass sie ein wenig früh war, doch sie konnte nicht mehr warten. Sie nahm die erste Stufe, dann die zweite und hastete die Treppen hoch, immer ihr Ziel vor Augen: ihre Tochter.
Als sie auf der oberen Etage unter freiem Himmel ankam, das Kettenkarussell links, das Riesenrad direkt vor ihr, blickte sie sich um, drehte sich im Kreis, wie sie es schon 49 Stunden zuvor getan hatte. Da war sie auch auf der Suche nach Katie gewesen, und dann hatten die schlimmsten Stunden ihres Lebens begonnen.
    Als ihr schwindelig wurde, blieb sie stehen.
Das Riesenrad. Auf dem Brief hatte gestanden: am Riesenrad. Was hieß das? Davor oder dahinter? Sie blickte sich hilfesuchend um. Es war natürlich noch nicht sechs Uhr und vielleicht waren sie noch nicht da. Aber was war, wenn sie überhaupt nicht kommen würden?
Dann hörte sie etwas. Es klang wie ››Mommy‹‹. Instinktiv sah sie nach oben – und entdeckte in einer der Gondeln ein kleines Mädchen, das winkte und rief, das weinte und zu ihr hinunter sah: Katie.
    ***
    Katie hatte ein bisschen Angst allein dort oben. Sie hatte natürlich gedacht, Marge würde mit ihr fahren, doch dann hatte die ihr gesagt, sie solle allein einsteigen und wenn sie wieder unten war, solle sie aussteigen und vor dem Riesenrad auf ihre Mommy warten.
    ›› Wird sie auch wirklich kommen?‹‹, hatte Katie gefragt.
    Was, wenn Marge ging und Mommy nicht kam? Dann wäre sie ganz allein am riesigen Navy Pier. Doch andererseits war sie nun nicht mehr weit von zuhause entfernt, vielleicht könnte sie den Weg ganz allein finden.
    Ihr Leben lang hatte sie schon mit dem Rad fahren wollen. Einmal, als sie mit Susi hier war, hatte die mit ihr fahren wollen, doch im letzten Moment hatte Katie Angst bekommen und gekniffen. Das hatte sie seitdem bereut und sich geschworen, nächstes Mal würde sie sich trauen.
Jetzt war nächstes Mal und sie saß im Riesenrad, allein. Die meisten anderen Gondeln waren auch leer. Sie wusste, dass am Wochenende mehr los war, das hatte sie Susi sagen hören.
    Sie sah Marge davongehen. Dann nahm sie sich vor, die Fahrt zu genießen, es war schließlich das, was sie unbedingt gewollt hatte. Doch jetzt wollte sie nur eins: ihre Mommy. Und richtig genießen konnte sie dieses Erlebnis auch nicht. Sie sah auf die Skyline der Stadt, gewaltig und einschüchternd. Manchmal dachte sie, wie klein sie doch war im Gegensatz zu diesen endlos hohen Gebäuden.
Sie sah in die Ferne, dann wieder nach unten, und da sah sie sie: Mommy!
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie wieder unten war. Die Zeit schien still zu stehen. Sie klopfte und winkte und rief nach ihrer Mommy. Dann endlich entdeckte auch sie sie und winkte zurück.
Als
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