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47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)

47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)

Titel: 47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
Autoren: Joan D. Vinge
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dem Zimmer. Er hatte, ohne dass der Junge ihn bemerkt hatte, schweigend Wache gestanden. In der Türöffnung hielt Oishi noch einmal inne und sah der soeben verschwundenen Tochter seines Fürsten hinterher, bevor er sich wieder dem Jungen zuwandte. In seinem Gesicht standen Fragen und Zweifel, als könnte er immer noch nicht verstehen, was sowohl Vater als auch Tochter in diesem Halbblut sahen, das er nur als Bedrohung begreifen konnte. Aber schließlich wandte er sich wieder ab. Die Hand, die auf dem Heft seines Schwerts geruht hatte, entspannte sich, als er ging und die Schiebetür hinter sich schloss.
    Langsam, vorsichtig richtete der Junge sich auf und stützte sich auf seinen Unterarm. Dann griff er nach dem Bündel, das ihm das Mädchen Mika hinterlassen hatte …
Madame
Mika? Dann war sie wohl die Tochter des Fürsten, der ihn gerettet hatte – vor Oishi und seinen eigenen Samurai. »Fürst Asano« hatten sie ihn genannt – den
daimyō
dieser traumhaften Burg und der Ländereien darum herum und aller Menschen, die hier lebten. Und sollte all das nun auch einen namenlosen Jungen einschließen, einen Jungen, der ein völlig Fremder war, auf eine Weise, die nicht einmal er selbst verstand? Konnte das überhaupt …
    Der Junge hielt den Hauch von einem Seidenschal in der Hand und betrachtete fasziniert die Stickerei, die die zarten Farben noch schöner zur Geltung brachte. Schon allein die Existenz eines solchen Ortes, an dem selbst das einfachste Stück Stoff von Magie erfüllt zu sein schien, flößte ihm Ehrfurcht ein.
    Aber seine Nase sagte ihm, dass an diesem Bündel zarten Stoffs mehr war als nur Farbe und Stickerei – er roch Essen. Plötzlich wurde sein Hunger so rasend wie das Monster, für das der Samurai ihn hielt. Mit ungeschickten Händen faltete er die Seide auseinander und begann zu essen, was er darin fand.
    Er erkannte keine der Speisen außer dem Reis, und selbst der einfache Reis schmeckte ganz anders als alles, was er gewohnt war. Aber hungrig wie er war – und so sehr er auch fürchtete, der Reis und alles um ihn herum könnte wie eine Gaukelei verschwinden – erkannte er dennoch, dass die Speisen, die Mika-
hime
ihm hiergelassen hatte, genauso exquisit bereitet waren wie alles andere. Der exotische Geschmack jedes Bissens, den er nahm, zwang ihn geradezu, ihn nicht im Ganzen zu verschlingen, sondern langsam zu essen, jeden Mundvoll zu genießen – etwas, das er nie zuvor getan hatte, denn sein ganzes Leben lang hatte das Essen, das man ihm gegeben hatte, nur dazu gedient, ihn am Leben zu halten.
    Die Freuden des Essens waren trotzdem viel zu schnell vorbei. Er hätte diese Speisen ewig weiteressen können – er hätte sogar mit Freuden sein eigenes Gewicht von der Nahrung, die er all die Jahre zum Überleben einfach nur heruntergewürgt hatte, verdrücken können, so hungrig war er.
    Aber sein Hunger, wie auch seine Furcht, waren an diesem Ort nicht so nagend, und nun überwog die Erschöpfung sogar seinen Hunger. Ihm war, als sei ihm ein Wunder widerfahren, obwohl er sicher war, dass es so etwas wie Wunder nicht gab.
    Und obwohl er sich nicht einmal sicher war, ob er lebte oder tot war, war er immerhin in einem Land der Träume, wo sein Lager weich und die Seidendecke auf ihm so sanft war wie Mikas Wiegenlied. Es gab hier keinen Grund, die Augen offenzuhalten, immer wachsam, immer vorsichtig zu sein. Und so gestattete er seinen Lidern, sich zu schließen, freiwillig diesmal, und schlief ein.

    Sie nannten ihn »Kai«, nach dem Meer. Mika bestand darauf, denn als er zu ihnen gekommen war, hatte er keinen Namen. Aber die ersten Worte, die er sprach, als er versuchte, mit ihnen zu kommunizieren, waren »Meer der Bäume« gewesen. Das Meer der Bäume war ein Ort, den es in Legenden und Märchen gab – ein Ort, den niemand in Ako je gesehen hatte und den man auch auf den offiziellen Karten des Shogunats von Japan nicht fand. Die vernünftigen Männer der Burg Ako zweifelten daran, dass das Meer der Bäume überhaupt je existiert hatte, jedenfalls auf der irdischen Ebene – obwohl es jedes Mal, wenn sie den jungen Kai ansahen, schien, als könne ein Wesen wie er nur von dort stammen.
    Dass Kai sein ganzes bisheriges Leben in der Wildnis verbracht hatte, war leicht zu glauben. Dass er die meiste Zeit ohne Eltern dort gehaust hatte, lag auf der Hand. Vielleicht hatte man ihn dort ausgesetzt, und er war von Wölfen aufgezogen worden, weil selbst die einfachsten Bauern mehr über gutes
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