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47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)

47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)

Titel: 47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
Autoren: Joan D. Vinge
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der Hundezwinger erledigt und durchstreifte nun die offenen Felder und Wälder jenseits der Burgmauern. Oishi war in der Morgendämmerung aufgestanden, hatte sich angekleidet, sein Zimmer aufgeräumt und mit seinen Eltern gefrühstückt. Dann, als Lehrling und Assistent seines Vaters, hatte er mit der ihm zugewiesenen Verwaltungsarbeit, der Aufsicht über die Diener und seinen Kampfübungen so viel zu tun gehabt, dass er kaum zum Baden, Beten und Abendessen gekommen war, geschweige denn, dass er sich mit seinen Freunden auf einen Sake hätte treffen können. Vor Mitternacht würde er es wohl kaum ins Bett schaffen, und selbst dann wurde von ihm erwartet, dass er über seine Leistungen des Tages meditierte, bevor er sich dem wohlverdienten Schlaf hingeben konnte.
    Ein Funken Widerwille flackerte hinter der stoischen Miene auf, die er stets zur Schau trug, während er darauf wartete, dass Fürst Asano ihn zu sich rief. Er hatte andere Pflichten, wichtigere Dinge, um die er sich kümmern musste. Was tat er eigentlich hier, warum war er gezwungen, die oberste Kinderfrau zu begleiten, sodass sie sich bei Fürst Asano über den dämonischen Zwingerjungen beschweren konnte …? Unwillkürlich presste Oishi seine Finger auf die müden Augen.
    Er erkannte, dass es nicht Kai war, über den sich die Dame Haru Sorgen machte – es war Mika-
hime
, Fürst Asanos Tochter, die mit Kai in die Felder gelaufen war. Auch wenn Kai nach Hundekot roch, war das närrische Mädchen unerklärlicherweise noch immer genauso fasziniert von ihm wie an dem Tag, als sie ihn völlig verdreckt …
    Oishi schreckte auf, als aus dem angrenzenden Zimmer endlich sein Name gerufen wurde.

    »Kai!«, rief Mika halb lachend, halb flehend. »Warte!«
    Kais lange Schritte und seine weiten Bauernkleider gaben ihm immer einen großen Vorsprung, und er schien nie müde zu werden. Selbst ihre neuen Sandalen nutzten ihr nicht viel, als sie hinter ihm herjagte. Er hielt erst an, als er den Gipfel des Hügels erreicht hatte. Dann endlich sah er sich um und wartete darauf, dass sie aufholte.
    Kaum dass sie den übereifrigen Blicken ihrer Kinderfrauen entkommen war, hatte sie ihre harten Holzsandalen fortgeworfen, den Kimono um die Knie gerafft und war barfuß zu der Stelle gelaufen, von der sie wusste, dass sie Kai dort zu dieser Tageszeit finden würde.
    Wie üblich saß er an der Böschung des Flusses. Sein kinnlanges braunes Haar und seine ausgeblichenen Kleider waren noch feucht. Wie immer hatte er sie und sich nach der Arbeit in den Zwingern hier im Fluss gewaschen. Er hielt sich selbst so sauber wie jeder Samurai es unter den Umständen getan hätte.
    Sie fragte sich, was er wohl tat, wenn das Wetter kalt wurde: Würde er dann sogar das Eis auf dem Fluss brechen, um, diszipliniert wie ein Mönch, darin zu baden? Und würde er ein kleines Feuer machen, um sich daran zu wärmen oder zitternd am Flussufer sitzen, bis er am Boden festfror?
    Saß er vielleicht immer am gleichen Ort, Tag für Tag, weil er hoffte, dass sie zu ihm kam?
    Als sie heute kam, riss er sich aus seiner ernsten Nachdenklichkeit und hieß sie mit einem warmen Blick willkommen. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel – ein Lächeln, das sein ganzes Gesicht veränderte, nun da sie es kannte.
    Als er auf die Burg gekommen war, war das Lächeln, mit dem er sie begrüßte, so verhalten gewesen, dass sie sich nie sicher sein konnte, ob es überhaupt eines war. Aber dann war ihr eines Tages der Gedanke gekommen, dass vielleicht Scheu es so zögerlich wirken ließ – oder (eine noch verstörendere Idee) dass er bisher nicht gewusst hatte, wie man lachte.
    Als sie das erkannte, war die Reinheit dieses neuentdeckten Lächelns und der Ausdruck in seinen Augen, wenn er sie ansah, für sie wie ein
shakabuku
gewesen – »ein spiritueller Schlag vor den Kopf«, so hatte Bashō, ein Samurai ihres Vaters und ehemaliger buddhistischer Mönch, es ihr einmal erklärt, »der mit einem Mal deine Sicht auf die Dinge verändert«.
    In diesem Moment hatte sie plötzlich gewusst, was Bashō ihr hatte sagen wollen. Es war, als habe ihr Vater einen
tennin
in die Burg gebracht, einen der himmlischen Boten, von denen die Sutras erzählten. Dort hieß es, dass
tennin
manchmal aus unerklärlichen Gründen verloren gingen, so als hätten sie den Weg zurück zu den himmlischen Gefilden vergessen und müssten nun auf der Erde herumwandern oder auf den Gipfeln von Bergen sitzen und darauf warten, dass sie zurückgeholt
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