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40 - Im fernen Westen

40 - Im fernen Westen

Titel: 40 - Im fernen Westen
Autoren: Karl May
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den Salon, und doch verriet sie eine Kenntnis des Westens und eine Übung in den hier notwendigen Fertigkeiten, die auf ganz besondere Verhältnisse schließen ließ. Deshalb war es wohl kein Wunder, daß mein Auge mit dem größten Interesse auf ihr ruhte.
    Sie ritt jetzt eine halbe Pferdelänge vor, und der goldene Sonnenstrahl umflutete ihre tadellose, vollendete Gestalt. ‚Bräunlich und schön‘, wie die Bibel von David erzählt, zeigten die eigenartigen Züge trotz ihrer mädchenhaften Weichheit eine Festigkeit des Ausdruckes, welche auf geistige Überlegenheit und Energie des Willens schließen ließ, und in der ganzen Haltung, in jeder einzelnen Bewegung des bezaubernden Wesens sprach sich eine Selbständigkeit und Sicherheit aus, welche neben der freiwilligen Bewunderung unbedingte Achtung forderte.
    Ich gestand mir offen, noch nie ein Mädchen von solcher Schönheit gesehen zu haben, und wunderte mich über mich selbst, daß ich trotz meiner gewöhnlichen Zaghaftigkeit im Umgange mit dem anderen Geschlecht bei der heutigen Begegnung so – so unverfroren hatte sein können. Freilich war auch ihre Art und Weise ganz geeignet gewesen, diese Zaghaftigkeit nicht aufkommen zu lassen; aber jetzt beim näheren Anschauen konnte ich doch einer leisen Bedrückung nicht so ganz Herr werden.
    Oft schon hatte ich von der Wirkung gehört, welche der Klang einer Frauenstimme selbst auf den sonst verschlossenen Mann auszuüben vermöge, an mir selbst jedoch noch keinerlei Erfahrung darüber gemacht. Jetzt aber fühlte ich mit einem Male diese Wirkung, und es war mir, als sei mir etwas ins einsame Herz gedrungen, was die Öde und Leere desselben auszufüllen und mich mit all dem Vergangenen zu versöhnen vermöge.
    Plötzlich zog sie die Zügel an.
    „Ihr seid ein Deutscher?“
    „Ja. Spreche ich das Englische mit so bösem Akzent, daß Ihr meine Abstammung so genau bestimmen könnt?“
    „Nein, Sir. Euer Englisch ist rein; aber Euer Verhalten ist echt deutsch. Erst laut, munter und gemütlich und jetzt still, nachdenklich und grübelnd. Wenn es Euch recht ist, wollen wir uns unserer Muttersprache bedienen.“
    „Wie? Auch Ihr habt die gleiche Heimat?“
    „Vater ist ein Deutscher, geboren bin ich am Quicourt. Meine Mutter war eine Indianerin vom Stamm der Assineboins. Eine Amerikanerin wäre Euch wohl in anderer Weise begegnet.“
    Jetzt war mir der eigentümliche Schnitt ihres Gesichtes und der tiefere Schatten des Teints erklärlich. Ihre Mutter war also tot, und der Vater lebte noch. Hier stieß ich jedenfalls auf außergewöhnliche Verhältnisse, und es war mehr als bloße Neugierde, welche ich jetzt für dieselben empfand.
    „Seht da hinüber!“ belehrte sie mich mit erhobenem Arme. „Seht Ihr den Rauch wie aus dem Boden aufsteigen?“
    „Ah, das ist der Bluff, welchen ich schon längst suchte und in dessen Senkung New Venango liegt. Kennt Ihr Emery Forster, den Ölprinzen?“
    „Ein wenig. Er ist der Vater von meines Bruders Frau, welche mit ihrem Mann in Omaha lebt. Ich komme von daher, um den Vater zu sehen, und habe hier Absteigequartier genommen. Habt Ihr mit Forster zu tun, Sir?“
    „Nein, ich habe im Store (Laden) zu tun, um mich mit einigem zu versorgen, und fragte nur, weil er als einer der bedeutendsten Ölprinzen bekannt ist.“
    „Könnte Euch auch nicht viel an ihm empfehlen. Ihr wißt ja, wie diese Leute sind. Doch laßt uns ausgreifen, es wird Abend.“
    Nach kurzer Zeit hielten wir am Rand der Schlucht und blickten auf die kleine Niederlassung, deren Häuserzahl wenigstens ich mir höher vorgestellt hatte. Das vor uns liegende Tal bildete eine schmale Pfanne, welche, rings von steil ansteigenden Felsen umschlossen, in ihrer Mitte von einem ansehnlichen Fluß durchströmt wurde, der sich zwischen nahe zusammentretendem Gestein unten einen Ausweg suchte. Das ganze unter uns liegende Terrain war mit Anlagen, wie sie die Petroleumerzeugung erfordert, bedeckt; oben, ganz nahe am Wasser, sah ich einen Erdbohrer in voller Tätigkeit; am mittleren Lauf stand etwas vor den eigentlichen Fabrikräumlichkeiten ein trotz des Interims doch ganz stattliches Wohngebäude, und wo das Auge nur hinblickte, waren Dauben, Böden und fertige Fässer, teils leer, meist aber mit dem vielbegehrten Brennstoff gefüllt, zu sehen.
    „Da drüben seht Ihr den Store, Sir, zugleich Restauration und alles sonst noch Nötige, und hier führt der Weg hinab, ein wenig steil, so daß wir absteigen müssen, aber doch immer
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