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40 - Im fernen Westen

40 - Im fernen Westen

Titel: 40 - Im fernen Westen
Autoren: Karl May
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feig!“
    „Das verstehe ich noch weniger.“
    „Ist's etwa nicht feig, eine wehrlose Dame –“
    Sie stockte, tiefes Rot bedeckte ihr Gesicht bis zum Nacken herab, und mit einer Miene der Entrüstung, vor welcher ich fast zurückweichen konnte, trat sie hart an mich heran und rief:
    „Wäret Ihr ein Mann, so würde ich Genugtuung von Euch verlangen, blutige Genugtuung; aber Ihr fürchtet die Streiche wie ein Schulknabe, und so mögt Ihr gehen. Aber nehmt Euch in acht, mir einmal vor den Lauf meiner Büchse zu kommen, denn dann halte ich Euch für das, für was Euch Forster erklärt hat – einen Coyoten – mein Gott, Forster – und ich stehe hier!“
    Jetzt erst kam ihr die vollständige Erinnerung, und mit einem kreischenden Wehruf stürzte sie fort, dem Felsenabhang zu.
    Mit einigen raschen Sprüngen hatte ich sie erreicht und faßte sie bei beiden Händen.
    „Bleibt, Miß, bei allem, was Euch heilig ist. Ihr seid verloren, wenn Ihr Euch in dieses Feuermeer wagt!“
    „Laßt mich, Elender. Ihr habt die Gefahr gekannt, Ihr konntet sie retten, alle, und habt es nicht getan. Laßt fahren, oder Ihr schmeckt Euren eignen Stahl!“
    Noch immer war das Messer in ihrer Hand geblieben. Sie merkte es erst jetzt, da ich sie bei derselben gefaßt hielt, und wandte alle Kraft auf, um sich loszumachen. Wollte ich ihr die Hand nicht brechen, so mußte ich nachgeben. Die Rechte frei bekommend, entriß sie auch die Linke meinem Griff, und ich fühlte einen kleinen Gegenstand zwischen meinen Fingern. Sie merkte den Verlust nicht und eilte längs des Bergrands von dannen.
    Schon wollte ich ihr folgen, da ertönte aus einiger Entfernung leichter Hufschlag. Ich blieb stehen und lauschte.
    „Swallow!“
    Ein lautes, freudiges Wiehern antwortete, und im nächsten Augenblick stand das treue Pferd, das Köpfchen liebkosend an meiner Schulter reibend, vor mir.
    „Swallow, mein lieber, lieber Swallow“, rief ich, das Tier vor Freude umarmend, „auch du bist gerettet? Du kommst zurück, trotzdem ich dich verlassen habe im Augenblick der Gefahr, und die, an der ich fast übermenschliches Vermögen getan habe, sie nennt mich feig und ehrlos, droht mir mit der Waffe und flieht mich wie einen schmutzigen Yambarico. Und doch wollen wir diesen Ring, den ich ihr gegen meinen Willen abgestreift habe, aufbewahren, Swallow. Wir müssen sie wiederfinden, und dann wird sich's vielleicht herausstellen, ob dein Herr nichts weiter ist, als ein verächtlicher – Coyote.“ – – –
    „Uff!“ rief mein Begleiter. „Mein weißer Bruder hat recht. Hier ist der rote Mann geritten. Laß uns sehen, was er hier gewollt hat.“
    „Winnetou, der große Häuptling“, erwiderte ich, „ist weise und hat das Auge des großen Geistes. Er sieht sehr wohl, was sein böser Bruder hier gewollt hat; aber er versucht, mich auf die Probe zu stellen.“
    Über das scharfgezeichnete Angesicht des Indianers glitt ein flüchtiges Lächeln, als er, noch immer auf die Spur gebückt, antwortete:
    „Und was denkt der weiße Freund von dieser Fährte?“
    „Der Mann, welcher hier geritten ist, hat seine Gefährten gesucht. Auf jedem Hügel hat er sein Pferd angehalten, um sich nach ihnen umzusehen, und wir müssen also vorsichtig sein, wenn wir nicht unsere Skalps verlieren wollen.“
    Winnetou – denn dieser, von welchem ich Swallow erhalten hatte, war es – richtete sich empor und maß mich mit einem langen, verwunderten Blick.
    „Mein bleicher Bruder kennt mich. Er hat mit mir den Lasso um die Hörner des Büffels geworfen und den Bären des Gebirges in der Höhle getötet; er ist an meiner Seite gestanden gegen die Übermacht der Arapahoes und hat die Mandans im Blut zu meinen Füßen gesehen; er zählte die Skalps an den Wänden meines Wigwams und sieht die Locken meiner Feinde an meinem Gürtel hängen. Winnetou hat seinen Stamm verlassen, um die großen Hütten der Weißen zu sehen, ihre Feuerrosse und ihre Dampfkanoes, von denen ihm der Freund erzählt hat; aber sein Haupt wird von keinem Messer berührt werden.“
    „Der große Häuptling der Apachen hat recht“, nickte ich ihm zu und fuhr, auf die Spuren deutend, fort: „Aber hat er auch bemerkt, daß dieses Pferd hier müde gewesen ist?“
    Statt aller Antwort folgte er, sein Tier am Lasso führend, der Fährte weiter und blieb endlich, auf den Boden zeigend, stehen.
    „Hier hat er ausgeruht“, und mit gespannter Miene setzte er hinzu: „Wird mein Bruder sehen, auf welchem Pfad er
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