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40 - Im fernen Westen

40 - Im fernen Westen

Titel: 40 - Im fernen Westen
Autoren: Karl May
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tönte ein schweres, röchelndes Ächzen aus den Zweigen zu ihnen herab.
    „Was war das?“ fragte Wanda.
    „Das war der Professor, welchen wir über unserem Glück vergessen haben“, entgegnete Winter. Er sprang auf, ging den Lauten nach und fand nach einigem Suchen den Urheber derselben, noch mit den Armen an das Netzwerk gefesselt, an einem abgebrochenen Ast hängen, dessen Stumpf ihm tief in den Leib gedrungen war.
    Die Verletzung mußte eine tödliche sein. Das Blut lief ihm aus Mund und Nase; das Stöhnen wurde kürzer und schwächer, und als Winter sich zu ihm hinaufgearbeitet hatte, lief ein konvulsivisches Zittern durch den aufgespießten Körper, der dann schlaff zusammensank.
    „Bitte, Wanda, tritt von da unten weg. Er ist tot, und sein Anblick ist nichts für dich.“
    Sie gehorchte seiner Mahnung. Mit einem kräftigen Aufstemmen des Fußes brach er den Ast los, und der Leichnam stürzte zur Erde hinab. Unten bei ihm angekommen, überzeugte sich Winter, daß keine Spur von Leben mehr in dem Körper sei und untersuchte darauf die Taschen des Unglücklichen.
    Da entfuhr ein Ausruf der Überraschung seinem Mund, und mit heftigen Schritten trat er zu dem Ort, an welchem Wanda auf ihn wartete.
    „Erschrick nicht, mein Herz, ich habe dir eine entsetzliche Mitteilung zu machen.“
    „Welche? Nach dem, was mir heute widerfahren ist, wird mir das Erschrecken schwer fallen.“
    „Daß du Säumen nie geliebt hast, weiß ich.“
    „Verachtet habe ich ihn.“
    „Und daß es wenigstens irgendeine unbestimmte Ahnung in bezug auf seine Lebensstellung und seine Absichten in dir gegeben hat, habe ich auch stets angenommen.“
    „Du kannst recht haben. Ich litt seine Annäherung wirklich nur aus Rücksicht auf Mama, die ich nicht in Armut sehen mag.“
    „Und diese Annäherung hat dich in mehrfache Gefahr gebracht. Da lies dieses Schriftstück, welches in der Brieftasche des Professors lag.“
    Sie nahm das Papier in die Hand, und während ihre Augen dasselbe überflogen, breitete sich tiefe Blässe über ihr Angesicht.
    „Das ist schrecklich! Jenes Vorkommnis im Felsenbruch hatte zuerst dunkle Befürchtungen in mir wachgerufen; doch drängten sich dieselben immer wieder zurück, weil sie mir zu ungeheuerlich erschienen. Und jetzt bestätigen sich jene Vermutungen, die du jedenfalls auch gehabt hast, auf eine so fürchterliche Weise!“
    „Bei mir waren es nicht bloße Vermutungen, sondern ich hatte die vollständige Überzeugung, daß Säumen ein Betrüger sei, obgleich ich keinen vollgültigen Beweis gegen ihn in den Händen hatte.“
    „Ein Betrüger? Das wohl nicht, sondern vielmehr ein Mörder!“
    „Auch das erstere. Ein wirklicher Säumen ist einer unehrenhaften Handlung nicht fähig.“
    „Was du da andeutest, ist ja vollständig unmöglich!“ rief sie erschrocken. „Und wenn es so wäre, so könnte ich die Schande nicht überleben.“
    „Sei ruhig, mein Herz. Es erwarten dich vielleicht heute noch schlimme Aufklärungen; aber du darfst überzeugt sein, daß bei allem, was geschieht, die strengste Rücksicht auf die Ehre deines Namens genommen wird. Jetzt aber müssen wir vor allen Dingen an den gegenwärtigen Augenblick denken. Ich werde den Toten mit Zweigen bedecken, und dann versuchen wir in die Nähe von Menschen zu kommen. Magst du dich mir auf dem Gang durch den tiefen, dunklen Forst anvertrauen?“
    Mit innigem Aufleuchten senkte sich ihr Blick in seine Augen, als sie erwiderte:
    „Ich bin dein fürs ganze Leben, mein Emil. Gehe mit mir, wohin du willst; ich folge dir.“ –
    Als nach Aufsteigen des Ballons sich die Wagen in Bewegung gesetzt hatten, waren sie mit der größtmöglichen Geschwindigkeit der vorgezeichneten Richtung gefolgt und nur kurze Zeit nach dem Zug eingetroffen. In größter Aufregung erwartete man die Ankunft der Luftfahrer. Das Interesse für die Wetten war zurückgetreten, da man ja nun das Resultat derselben kannte, die allgemeine Teilnahme hatte sich dem vermutlichen Schicksal Winters zugewandt, der nach der Annahme aller bloß von dem Zufall mit emporgerissen worden war.
    Längst schon waren die Sängergäste eingetroffen. Die Bewohner des Ortes hatten die Straßen und offenen Plätze desselben mit Flaggen und Girlanden geschmückt; aber der Festumzug konnte noch immer nicht beginnen, weil sämtliche Teilnehmer draußen im Freien standen, um das Niedersteigen des Ballons abzuwarten.
    In der allergrößten Sorge befand sich die Baronin. Sie hatte sich im Hotel
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