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36 - Das Vermächtnis des Inka

36 - Das Vermächtnis des Inka

Titel: 36 - Das Vermächtnis des Inka
Autoren: Karl May
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werden, den Arbeit ehrt; Genuß im Nichtstun aber schändet. – – – Willst du das Gold, so nimm es; doch hüte dich dabei vor dem Feuer in den Rinnen! – – – Willst du Ehre und wahres Glück, so gib das Metall der Erde wieder, der es geraubt worden ist; dann wirst du den wahren Reichtum erlangen. Brenne da die erste Kerze des schlafenden Feuers an und eile aus der Höhle! – Nun wähle, aber wähle gut! Du besitzest das Blut der Herrscher; beherrsche also dich selbst; es wird dir gelingen. – Ich bin bei dir, und ich bleibe bei dir. Mach, daß meine Seele sich über dich freut. – – – Dann schaut mein Geist wonnig auf dich nieder, bis du mir folgst dahin, wo weder Gold noch Silber gilt, sondern nur die Schätze des Herzens gewogen werden. – Handle als mein Sohn, denn ich bin dein Vater!“
    Der alte Anciano hatte so gelesen, daß die Pausen zwischen den einzelnen Sätzen immer länger geworden waren. Jetzt blickte er, auf den Knien liegen bleibend, erwartungsvoll zu seinem jungen Herrn auf. Dasselbe tat auch Anton, den der Inhalt des Vermächtnisses tief ergriffen hatte. Der Vater Jaguar war voller Bewunderung für die Anschauung, zu welcher sich der Tote emporgeschwungen gehabt hatte; aber seiner praktischen Natur sagte das Opfer nicht zu, welches dieser von seinem Sohn erwartete. Haukaropora stand hoch aufgerichtet da und blickte in die Sonne. Seine Ahnen hatten sie verehrt, zu ihr gebetet. Jetzt wollte sie hinter den Gipfeln der Berge verschwinden. So war auch der Glanz des Inkareiches verschwunden und dieses selbst untergegangen. Der letzte Rest dieses Glanzes strahlte unten in der Felsenkammer, wo die Statuen der Götter und Herrscher standen, beim Schein einer armseligen Kerze. Sollte dieser letzte Schimmer auch erlöschen? In dem ernstschönen Angesicht des Jünglings regte sich kein Zug. Er blickte in die Sonne, ohne daß die Augen ihn schmerzten, bis das höchste Bergeshaupt sie deckte; dann wendete er sich zu Anciano, nahm ihm den Kipu aus der Hand, verbarg denselben unter dem ledernen Jagdhemd auf der Brust und sagte: „Steh auf, mein Vater! Es gibt keinen Inka mehr. Die Söhne der Sonne gingen dahin mit ihrem Reich, und ich gehorche dem Geist meines Vaters, welcher geglaubt hat, ich sei stark genug, das Richtige zu wählen. Ich gebe das Gold der Erde zurück, denn es bringt nur als Lohn der Arbeit Segen, und meine Arbeit soll erst noch beginnen.“
    Da sprang der Alte auf, ergriff seine beiden Hände und rief im Ton inniger Rührung und Liebe aus: „Sei gepriesen für diesen Entschluß, mein Sohn, und ich habe von dir nichts anderes erwartet. Du bedarfst keiner schillernden Schätze, denn der größte Schatz, den es gibt, ruht in deiner Brust.“
    Der Vater Jaguar aber fragte: „Wie? Du willst dem Inhalt des Stollens da unten entsagen? Das war es doch, was du meintest?“
    „Ja.“
    „Das kann nur das Ergebnis einer vorübergehenden Stimmung sein. Bedenke, was du von dir wirfst und welch ein Leben vor dir liegt, wenn du die Erbschaft deines Vaters antrittst!“
    „Sein Vermächtnis liegt nicht da unten in der Höhle, sondern hier auf meinem Herzen.“
    Er deutete nach der Stelle, an welcher er den Kipu verborgen hatte.
    „So willst du in Wirklichkeit das verzehrende Feuer dort unten anbrennen und die Reichtümer zerstören?“
    „Ja.“
    „Das ist Wahnsinn! Wenn du sie nicht willst, so muß ich dich darauf aufmerksam machen, wie viel Gutes du mit ihnen tun, wie viele Menschen du mit ihnen glücklich machen kannst. Dich selbst magst du berauben, andere aber nicht!“
    „Das Erbe gehört nicht ihnen, sondern mir; ich tu mit ihm, was ich will. Ich vernichte es, weil ich wünsche, meinen Nebenmenschen andere und bessere Gaben zu bringen.“
    „Überschwenglichkeit! Ich werde mich einem solchen Beginnen widersetzen!“
    Er sagte das in drohendem Ton. Da nahm Haukaropora seinen goldenen Streitkolben von der Erde, wo er gelegen hatte, auf, richtete sich stolz empor und antwortete: „Señor, ich achte und liebe Sie, aber in dieser Sache gibt es nur einen Willen, und das ist der meinige. Diesen Kolben werde ich nach dem Wunsch meines Vaters verkaufen, um leben und lernen zu können; wollten Sie sich mir wirklich widersetzen, so würden Sie mich zwingen, ihn vorher im Kampf mit Ihnen zu erproben!“
    Hammer warf den Kopf stolz zurück. Er wollte eine scharfe, vielleicht ironische Antwort geben, tat dies aber doch nicht, sondern erwiderte in milderem Ton: „So war es nicht
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