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36 - Das Vermächtnis des Inka

36 - Das Vermächtnis des Inka

Titel: 36 - Das Vermächtnis des Inka
Autoren: Karl May
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nicht eher wieder hinab, als bis ich den Inhalt dieses Briefes genau kennengelernt habe.“
    Der alte Anciano schien, geblendet von dem Gold und Silber, dennoch bleiben zu wollen; da nahm Hauka ihm den Kipu aus der Hand, untersuchte ihn, soweit es hier unten möglich war, und erklärte dann: „Dieser Kipu enthält das Vermächtnis meines Vaters, des ermordeten Inka. Er ist mir teurer als alles, was sich außer ihm hier befindet, und darum mag das Gold und Silber hier liegenbleiben, bis ich ihn gelesen habe. Ich gehe an das Tageslicht.“
    Das entschied. Die vier Personen verließen den unterirdischen Raum und begaben sich durch den Stollen nach dem Eingang zurück, um in das Freie zu gelangen. Auf dem Boden des Schachtes, da, wo derselbe in den Stollen überging, lagen mehrere Talglichter, welche Haukas Vater zum jeweiligen Gebrauch da niedergelegt hatte. Anciano löschte sein halb abgebranntes Licht aus und gab es wieder mit hinzu, ehe er sich hinausschwang.
    Draußen setzten sich die vier auf die Steine, und Anciano und der junge Inka nahmen die Schnüre vor, um dieselben zu entziffern. Das ging freilich nicht so schnell wie bei dem ersten und so einfachen Kipu. Es waren der Farben und Knoten, der Nebenschnüre so viele, und die ersteren waren so verblichen, daß, wenn zwei von ihnen einander ähnlich gewesen waren, sie jetzt kaum voneinander unterschieden werden konnten. Es verging eine Viertelstunde nach der anderen; aus der halben wurde dann eine ganze Stunde; nachher verlief noch eine halbe, und doch waren die beiden Dechiffrierer über die Bedeutung einzelner Knoten und Schnüre noch nicht im klaren oder miteinander einig. Der Vater Jaguar war vielleicht um elf Uhr mit seinem Trupp an der Schlucht angekommen; dann hatte es zwei Stunden gedauert, bis Anciano von dem neuen Lagerplatz zurückgekehrt war; jetzt zeigte die Uhr schon über drei am Nachmittag; darum sagte Hammer: „Es wird jetzt gefährlich, länger hierzubleiben. Kommt zufälligerweise jemand da oben am Rand der Schlucht vorüber, so sieht er uns hier unten am offenen Schacht sitzen, und unser Geheimnis ist verraten. Wir wollen also das Loch lieber verschließen und dann hinaufgehen. Dort könnt ihr eure Arbeit fortsetzen und wir werden nicht überrascht, weil wir jede Annäherung schon von weitem bemerken müssen.“
    Man konnte nicht anders, als ihm beistimmen. Darum wurde die Haut wieder über den Eingang gebreitet und mit den vier schweren Steinen belegt und befestigt; als man sie dann mit kleinerem Gestein und Gras bedeckt hatte, war anzunehmen, daß kein Fremder, selbst wenn er hierherkommen sollte, das darunter befindliche Loch entdecken könne. Hierauf stiegen sie wieder hinauf zu ihren Maultieren, wo Hauka und der Inka sogleich ihre Arbeit fortzusetzen begannen.
    Es war, als ob ihr Scharfsinn hier oben findiger sei als unten in der düsteren Schlucht, denn noch war keine halbe Stunde vergangen, so erklärten beide, daß sie jetzt über die Bedeutung jedes Knotens einig und im klaren seien.
    „Darf ich vielleicht den Inhalt erfahren?“ fragte der Vater Jaguar.
    „Ja, Señor“, antwortete Hauka. „Es ist, wie ich schon sagte, das Vermächtnis meines Vaters, lautet aber anders, als Sie gedacht haben werden und auch ich gedacht habe. Anciano, lies es vor!“
    Der Alte gehorchte. Er kniete aus Ehrerbietung vor dem letzten Willen seines einstigen Herrn nieder, ließ Knoten nach Knoten, Schnur nach Schnur durch die Finger gleiten und entzifferte dabei langsam und in abgerissenen Sätzen folgendes: „Haukaropora, meinem Sohn, dem letzten Inka. – – – Siehst du diesen Kipu, so bin ich tot. – – – Auch Völker sterben. – – – Das unsrige ist tot, wie ich gestorben bin. – – – Hoffe nicht, daß es Wiederaufleben wird. – – – Du wirst niemals Herrscher sein. – – – Es starb an seinem Gold und Silber. Willst du an dem deinigen sterben? – – – Wäre es arm gewesen, so lebte und wirkte es noch. Sei du arm, so wirst du leben und wirken. – – – Sei nicht reich an Metallen, sondern werde reich am Geist und im Herzen, so wirst du glücklicher sein als alle deine Ahnen. – – – Ich bitte dich; ich befehle dir nicht. Dieses Gold gehört dir; nimm es, oder nimm es nicht. – – – Nimmst du es, so wirst du sein Sklave; verschmähst du es, so wirst du frei. – – – Du hast den goldenen Streitkolben der Inkas. Verkaufe ihn, so hast du genug, um zu lernen und ein Mann zu
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