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36 - Das Vermächtnis des Inka

36 - Das Vermächtnis des Inka

Titel: 36 - Das Vermächtnis des Inka
Autoren: Karl May
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Männer jetzt tief gebückt, weil der Stollen niedriger wurde. Er war sehr trocken; nur drückte die Luft ein wenig auf die Lungen. Nach ungefähr fünfzig Schritt wurde er nicht nur wieder höher, sondern auch viel breiter als vorher und bildete einen stubenartigen Raum, welcher vier Ellen hoch, sieben Ellen breit und ebenso tief sein mochte.
    Den Hintergrund bildete nicht die Felsenwand, sondern eine dunkle gähnende Kluft, welche senkrecht in eine unbekannte Tiefe fiel. Aber nicht diese breite Felsenspalte war es, auf welche man zunächst achtete, sondern die Aufmerksamkeit der vier Personen wurde von den Gegenständen, welche sich in diesem Raum befanden, aufs mächtigste angezogen.
    Es glänzte rechts und links wie pures Gold und Silber. Da standen und lagen auf Unterlagen, welche bankartig aus Steinen hergestellt worden waren, allerlei Gegenstände, deren Metall- und Kunstwert jedes Augen blenden mußte.
    Da gab es Götterfiguren, in Kindergröße aus blinkendem Gold hergestellt, Herrscherstatuen, in derselben Größe aus massivem Silber gearbeitet, Gefäße in den verschiedensten Formen und Größen, Waffen aller Art, Schmucksachen, Sonnen, Monde und Sterne. Ja, das war ein Reichtum, welcher nur von einem Inka oder einem königlichen Prinzen abstammen konnte, denn im alten Peru gehörte alles Gold dem Herrscher. Ohne seine Erlaubnis durfte kein anderer Gold oder Silber verwenden.
    Diese Metalle auszuführen war bei Todesstrafe verboten. Alles Silber und Gold mußte nach der Hauptstadt geliefert und dem König zu Füßen gelegt werden. Da gab es Jahre, in denen sicheren Angaben nach über zwölftausend Zentner Silber und über viertausend Zentner Gold in der Schatzkammer des Inka zusammenliefen, denn das edelste der Metalle wuchs in zahlreichen Adern des Gebirges und fand sich in erstaunlicher Menge im Sand der Flüsse und wurde durch billige oder gar nichts kostende Fronarbeit gewonnen.
    Anton Engelhardt war wie geblendet; Anciano und Haukaropora standen in staunender Andacht da, halb die hier befindlichen Reichtümer bewundernd und halb durchschauert von einem Gefühl ehrfurchtsvoller Pietät für die einstigen Götter und Herrscher ihres Volkes. Der Vater Jaguar war am wenigsten befangen. Die Sorge um seine Sicherheit überwog bei ihm den Eindruck dieser Schätze. Er hatte dem Alten das Licht aus der Hand genommen, um an dunklen Stellen nach dem Sitz der schon erwähnten Gefahr zu suchen. Seine Nachforschung hatte Erfolg.
    Nämlich unten, in der Nähe des Bodens liefen an den Steinbänken schmale, tönerne Rinnen hin, welche mit einer weiß-gelben, wachsartigen Masse gefüllt waren; aus dieser ragten in gewisser Entfernung dochtartige Fäden hervor, welche in Gestalt von kurzen Lichtstümpfen mit derselben Masse umgeben waren.
    „Das muß das gefährliche Feuer sein“, sagte er zu Anciano, indem er auf diese Rinnen deutete, „von denen dein toter Gebieter gesprochen hat. Und diese mit Dochten versehenen Spitzen sind die Lichter, von denen wir keins anbrennen sollen, bevor wir den zweiten Kipu gelesen haben. Wo aber mag dieser Kipu sein? Wir müssen ihn suchen!“
    Sie brauchten gar nicht lange zu forschen, denn er hing gleich vorn am Eingang an der Wand. Er hatte nicht die einfache Gestalt des ersten Schnurbündels, sondern bestand aus einem sehr kunstvoll gearbeiteten Geflecht, welches als Handgriff diente, und an dessen Seiten mehrere Reihen von Schnüren fransenartig herabhingen. Diese Schnüre hatten verschiedene Farben; sie waren von verschiedener Länge und in viele hundert Knoten von verschiedener Größe geknüpft. Der Alte griff schnell zu, um dieses Kunstwerk der Schriftknüpferei zu betrachten. Er tat dies eine ziemlich lange Zeit und erklärte dann: „Dieser Kipu ist ein sehr langer und ausführlicher Brief, den ich aber hier nicht lesen kann, weil die Farben gelitten haben und das Licht der Kerze nicht hinreichend ist.“
    „Aber draußen im Licht der Sonne könntest du ihn lesen?“ fragte der Vater Jaguar.
    „Ich denke es.“
    „So müssen wir hinaus.“
    „Schon fort von diesen Schätzen, welche wir so gern noch bewundern wollen?“
    „Ja. Ihr dürft nicht eher einen dieser Gegenstände anrühren, als bis wir den Inhalt dieses Kipu kennen. Die Gefahr, mit welcher die Hebung dieser Schätze verbunden ist, ist uns noch unbekannt. Jede falsche Bewegung, jeder falsche Griff kann uns den Tod bringen. Ich warne euch also. Wollt ihr bleiben, so bleibt; ich aber entferne mich und steige
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