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33 Cent um ein Leben zu retten

Titel: 33 Cent um ein Leben zu retten
Autoren: Louis Jensen
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spitz zuliefen.
    »Die heißen Zypressen«, sagte Anne, sie kennt tatsächlich die Namen aller Bäume.
    Weiße Häuser, gelbe Ziegeldächer, Kirchen, die in den blauen Himmel ragten, Orte, hoch oben auf Hügeln, wir fuhren unten in den Tälern, immer weiter, nach Süden, immer nach Süden.
    Ich sang wieder ein Lied von Afrika und von den Kindern. Es bekam einen neuen Refrain, aber erst als Anne fragte, warum ich Sackgasse sang, wurde mir das bewusst.
    Es war unser zweiter Tag im Auto.
    Es war Donnerstag.
    Am kommenden Sonntag sollte ich in der Kirche konfirmiert werden.
    »Du sollst am Sonntag konfirmiert werden«, sagte Anne. »Können wir das schaffen? Nach Afrika fahren und wieder zurück?«
    »Das können wir nicht«, sagte ich.
    Es gab keine Straßensperre, es gab keine Sackgasse, aber das Wort Sackgasse tauchte immer öfter auf. War das alles insgesamt total und vollkommen verrückt? Ich sah es doch selbst: ein Auto voller Lebensmittel und afrikanischer Früchte. Was sollte das helfen? War das nicht eher zum Lachen als eine Hilfe? Aber wenn ich so dachte, sagte ich das nicht laut, dann fuhr ich langsamer. Sollte ich anhalten, sollten wir umkehren? Aber dann wurde ich wütend auf mich, natürlich sollten wir weiterfahren. Und ich fuhr schneller, und wir sausten durch ein langes, langes Tal. Langres, Dijon, Macon, Villefrance, Lyon, Valence. Alle Städtenamen hatte ich auswendig gelernt.
    Gegen Abend fuhren wir am Mittelmeer an einen Strand.
    Dort lag ein kleiner Ort. Wir aßen französische Burger und Pommes. Wir tranken französisches Mineralwasser, und jetzt, am Strand, im Windschatten des Kühlwagens und seiner großen glänzenden Buchstaben und mit dem Rücken an einem der hohen Räder, sang Anne.
    Jetzt sang Anne.
    Sie sang von meinen Lippen. Sie sang, dass sie bluteten. Ich summte mit, ohne das Wort Sackgasse, aber das lag parat, die ganze Zeit, direkt hinter Annes Worten, auf dem Wind voller Salz. Und der Kühlwagen brummte mit. Vibrierend und singend stand er hinter uns. Aber das Wort Sackgasse begleitete uns, es lag auf dem Wasser, als wir anschließend in die Wellen stiegen.
    Wir schliefen im Auto. Anne der Länge nach auf dem Sitz, mit dem Kopf auf meinem Schoß. Ich saß aufrecht mit Aussicht auf das unermesslich weite Meer.
    »Die wissen alles«, sagte Anne.
    »Bestimmt«, sagte ich.
    »Dass wir in Johnnys Auto fahren.«
    »Und dass wir auf dem Weg nach Afrika sind.«
    »Deshalb«, sagte Anne, »wird es schwer, über die Grenze nach Spanien zu kommen. Sie haben alle Welt angerufen und verbreitet, dass ein Junge und ein Mädchen aus Dänemark in einem großen Kühlwagen mit roten Buchstaben auf den Seiten angefahren kommen.«
    »Bestimmt«, sagte ich.
    Sackgasse, dachte ich.
    »Du weißt, dass das hier ziemlich verrückt ist?«
    Und ob ich das wusste.
    »Deshalb hast du mich gern?«
    Anne sagte nichts.
    Ich wollte noch einmal fragen, aber als ich mich über sie beugte, sah ich, dass sie schlief.
    »Deshalb«, sagte ich zu mir, »deshalb hat sie mich gern.« Und Sackgasse, sagte ich stumm zu mir. Und Spanien und Gibraltar und Afrika. Plötzlich wusste ich überhaupt nicht mehr weiter. Ich wollte mich aufrichten, aus dem Auto springen und wegrennen, aber dann würde ich ja Anne wecken. Das wollte ich nicht. Also blieb ich sitzen.

ALS ICH AUFWACHTE
    Als ich aufwachte, war Anne weg.
    Einen Moment saß ich nur da, noch halb schlafend in einem wirren Traum. Ich dachte, dass sie zur Straße gegangen war, um per Anhalter zu fahren. Sie wollte nicht weiter mitkommen, nicht ganz bis nach Afrika. Sie hatte doch mehr als einmal gesagt: »Das hier ist ziemlich verrückt!«
    Und hatte nicht jedes Mal in den Worten eine Aufforderung gelegen, den Wagen zu wenden und zurück nach Dänemark zu fahren? Verrückt, ja, das war es, aber selbst wenn es in jeder Hinsicht und egal, wie man darüber dachte, verrückt war, so lag der Reise nach Afrika doch etwas zugrunde, das sowohl wahr wie richtig war. Ich konnte nicht richtig in Worte fassen, was es war, es mir selbst nicht richtig erklären, auch weil ich Anne im Kopf hatte. Deshalb sprang ich aus dem Auto und sah mich am Strand nach links und rechts um: keine Anne.
    Stattdessen sah ich eine weiß gekleidete Frau auf den Kühlwagen zugehen. Und so durcheinander und verwirrt, wie ich wegen Anne war, fuhr mir durch den Kopf: »Ein Engel!«
    Aber Engel gehen doch nicht an einem frühen Morgen in Frankreich am Mittelmeer über den Sand auf einen Kühlwagen und einen Jungen
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