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33 Cent um ein Leben zu retten

Titel: 33 Cent um ein Leben zu retten
Autoren: Louis Jensen
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ein.
    Im Nachhinein weiß ich, dass es nach Mitternacht war, an meinem Konfirmationstag, als wir geweckt und aus der Fahrerkabine gezerrt wurden. Es waren drei junge Kerle. Sie hatten Pistolen, sie schrien, sie warfen uns unter das grüne Schild. Dann schrien sie wieder, drohten mit den Pistolen und stiegen in Johnnys Kühlwagen.
    Ich schrie, die Lebensmittel seien für die Kinder. Ich deutete auf das Schild: das Robin-Hood-Schild. Ich wollte ihnen zu verstehen geben, dass es falsch war, was sie taten.
    Einer von ihnen lachte laut und rief auf Englisch, sie seien Robin Hood, und Anne und ich seien der Sheriff von Nottingham.
    »Das stimmt nicht«, rief ich.
    Sie lachten, deuteten auf das Schild, starteten und bogen auf die Straße.
    Ich blieb stehen. Ich war wütend, war starr vor Angst und Schreck, aber Anne rannte hinter dem Laster her.
    Sie rannte davor, wurde davon ergriffen und zur Seite geschleudert.
    Da tauchte die weiße Dame auf, während ich noch wie gelähmt dastand und, ohne es zu merken, meine Lippe blutig biss.
    Sie hob Anne auf und trug sie zu mir.
    Da war Blut. Und da war Blut auf den Lippen, um Annes Mund.

ENDE
    Sara kam und besuchte mich.
    Ich war nicht mehr gefährlich. Alle konnten mich besuchen kommen. An einem kleinen Tisch auf dem Flur saßen wir uns gegenüber. Ich freute mich, Sara zu sehen.
    »Du wirst also gesund?«, sagte Sara.
    »Das werde ich«, sagte ich und dachte, das war ich doch die ganze Zeit, im Großen und Ganzen gesund und munter, seit mich meine Mutter geboren hat.
    »Gesund«, wiederholte ich, »gesund und munter.«
    Und kurz danach: »Hast du Anne gesehen?«
    Ich weiß doch, dass sie Anne nicht gesehen hat, dass Sara Anne nicht in der Schule gesehen hat. Niemand hat sie gesehen. Sie liegt im Sarg in der Erde. Es gab Geld genug für einen Sarg, jede Menge Geld. Annes Stuhl ist leer.
    Sara öffnet jetzt die Tasche. Sie neigt den Kopf, um besser in die Tasche sehen zu können, dann holt sie ein großes Herz heraus, rosa. Ich kenne es. Das ist das Herz von der Fensterbank, aber nicht genau dasselbe: Jetzt hat es außer den Rädern zwei weiße Flügel bekommen. Nicht rosa, sondern weiß, bereit zu fliegen!
    Sie blinken, sie leuchten!
    »Weil«, sagt Sara, »ich eine Glühbirne und eine Batterie hineingesteckt habe.«
    Ich ziehe anerkennend erst die eine Augenbraue hoch und dann die andere. Das hat sie geschickt gemacht und sich gut überlegt.
    »Das ist für dich«, sagt Sara. Sie reicht mir das Herz. Ich nehme es. Ich weine. Die Tränen tropfen auf das Herz, aber es leuchtet weiter. Und, tun sie es? Ja, sie tun es: Die Flügel bewegen sich. Sie wollen mit mir auffliegen.
    Sara steht auf und kommt herüber und setzt sich neben mich. Sie nimmt meine Hand und drückt sie still. Sie lässt sie los, drückt sie wieder, und so bleiben wir sitzen.

 
    Über die Autoren
     
    Der Autor Louis Jensen, 1943 geboren, gelernter Architekt und Stadtplaner, ist seit 1993 freier Schriftsteller. Er schreibt für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Sein Werk wurde mit allen wichtigen dänischen Literaturpreisen ausgezeichnet, zuletzt erhielt er den Nordic Children’s Book Prize, den Børnebogspris und den Buchpreis der Leser 2011. Er lebt in der Nähe von Århus in Dänemark.
     
     
    Die Übersetzerin Dr. Sigrid Engeler, 1950 in Wolfenbüttel geboren, lebt in Kiel. Seit 1996 ist sie Lektorin und Übersetzerin aus dem Dänischen, Norwegischen und Schwedischen. Für Hanser übersetzt sie u. a. Janne Teller.
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