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33 Cent um ein Leben zu retten

Titel: 33 Cent um ein Leben zu retten
Autoren: Louis Jensen
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meinem Geld zurechtkommen.
    »Und meinem«, sagte Anne.
    Ich sah sie überrascht an.
    Sie öffnete ihr Portemonnaie. Dort lagen zwei große Scheine.
    »Bist du auch zu Robin Hood geworden?«
    »Das ist mein Taschengeld«, sagte Anne.
    Wir saßen auf einer Raststätte in Deutschland, bei Bielefeld, neben dem Kühlwagen. Von der Autobahn war unablässig, Schlag auf Schlag ein Sausen zu hören und ein dumpfes Dröhnen, sobald ein großer Laster vorbeidonnerte. Vom Wind und dem Lied und der Reise war ich wie benommen. Und Anne ging es genauso. Als wir aufstanden, wären wir beinahe wieder umgekippt. Wir lachten und fielen uns in die Arme.
    »Wo sollen wir schlafen?«, fragte Anne. Wir fuhren weiter, nun ins Abendlicht, ins Dunkel der Nacht hinein. »Ich habe geglaubt, in so einem Auto gebe es ein Bett.« Sie blickte nach hinten.
    Das hatte ich auch geglaubt. Aber das war ja kein Wagen für lange Strecken. Johnny fuhr jeden Abend zurück nach Hause und schlief in seinem eigenen Bett. Was Johnny wohl dachte? Es tat mir leid, dass ich sein Vertrauen missbraucht hatte. Wenn ich wieder nach Hause kam, wollte ich mich entschuldigen. Entschuldige, Johnny, das war falsch, aber den Kindern gegenüber war es richtig. Einen Moment lang dachte ich, dass Johnny mich verstehen würde. Berg nicht, Frau Jansen nicht, der Richter gar nicht. Meine Mutter? Ja! Und Sara? Ja! Und Großmutter. Großmutter verstand alles. Hätten wir Großmutter mitnehmen sollen? Ich glaube nicht, dass Großmutter Afrika und den roten Sand und die Palmen und Dromedare und die Wüste schon gesehen hat. Vielleicht nicht.
    »Wir könnten im Auto schlafen?«, sagte Anne.
    »Das könnten wir«, sagte ich, »aber in einem Hotel ist es besser. Wir müssen gut schlafen, morgen müssen wir weit fahren, fast bis nach Afrika. Bis hinunter nach Frankreich und Spanien, vielleicht bis hinunter nach Gibraltar, wo die Fähre ablegt.«
    »Ziemlich weit«, sagte Anne.
    »Ziemlich verrückt«, sagte ich.
    Anne lachte, ich lachte.
    »Da«, sagte ich, »dort schlafen wir.«
    Ein großes Licht tauchte aus der Dunkelheit auf. Ein Schild mit leuchtenden Buchstaben: DIEB .
    »Dieb«, sagte Anne. »Das bedeutet Dieb.«
    »Merkwürdiger Name für ein Motel.«
    »Die in Deutschland wissen es«, sagte Anne.
    Es stimmte. Hier wurde auch nach uns gefahndet. Das war mir völlig klar, aber wir mussten den Kühlwagen des Coop ja nicht direkt vorm Eingang zum Motel parken. Ich wusste, wie man das machte.
    Ich hatte mehr als dreimal gesehen, wie der Richter auf eine Rezeption zuging, zu einer Theke, und Zimmer für sich und meine Mutter und für mich und Sara bestellte. Das war nicht schwer. Und Deutsch! Ehrlich gesagt, ist das fast wie Dänisch.
    Sie stutzten, sahen uns prüfend an, aber ich war ziemlich cool und stellte uns mit einer munteren Geste als Herr und Frau Dieb vor.
    Da lachten sie.

OB WIR UNS KÜSSTEN?
    Küssten wir uns im Bett? Ja. Umarmte ich Anne? Ja. Berührte ich ihre Brust? Ja. Kuss, Kuss und noch einen, noch viele.
    Noch mehr?
    Ich träumte von Robin Hood und Johnny und Sara, ein einziges großes Durcheinander. Anne wachte auf, sie weckte mich, küsste mich, ich küsste sie, so wild und merkwürdig. War das, weil wir uns fürchteten, weil uns schwindlig war und wir benommen waren von der weiten Fahrt? Vor allem, weil wir nicht wussten, was passieren könnte, was passieren würde. Und um alles zu vergessen, küssten und küssten wir uns, und meine Lippen fingen an zu bluten.
    »Du blutest«, sagte Anne.
    »Ich blute?«, sagte ich. »Blutest du vielleicht?«
    Sie weinte wieder. Ich sprang aus dem Bett. Ich lief im Zimmer herum. Ich dachte an Johnny. Auf einmal, ganz plötzlich, dachte ich an Sara. Ich sah ihre rosa Legosteine, ihr großes Projekt, ihre neue Welt, in der Barbie und Ken Königin und König waren und wo alles richtig und gerecht war und wo niemand an Diarrhö starb oder verhungerte.
    Erst jetzt begriff ich Saras Anstrengungen wirklich. Und als ich Saras Gesicht sah, all die Legosteine, die Berge, Tiere, Flüsse und die wunderschönen Schlösser, da wurde ich ruhig, setzte mich zu Anne und strich ihr übers Haar, bis sie nach und nach zu weinen aufhörte und einschlief.

FRANKREICH
    Keine Streifenwagen.
    Eine Sackgasse. Ich weiß, was das bedeutet. Aber wir fuhren weiter. Autobahnen. Ich kannte doch den Weg nach Afrika. Auswendig. Ich hatte ihn studiert und Stück für Stück gelernt.
    »Das sieht schön aus«, sagte Anne.
    Das stimmte: schöne Bäume, die oben
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