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313

313

Titel: 313
Autoren: B Tewaag
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Angst voreinander haben, der Gefangene vor dem Beamten, der Beamte vor dem Gefangenen, so was ist nie gut, vor allem, wenn man sich nicht aus dem Weg gehen kann.
    »Jetzt schießen sie mich ab«, sagt Kupp. »Die können mich gar nicht hierbehalten, ich bin der Zeuge vor Ort. Die wollen mich nur beruhigen, aber wenn ich in Atzleben bin, hört mir keiner mehr zu. Da kann ich erzählen, was ich will, ich bin dann auch nur einer, der da sitzt und sagt, er sei unschuldig.«
    Der Kupp redet sich immer weiter in die totale Angst hinein, als wolle er, dass ich ihm sage, dass es anders kommen wird. Es ist eben nur so, dass ich glaube, es kommt exakt so. Ich mag den Kupp, und mir tut es leid für ihn. Aber Wlad denkt noch weiter.
    Er so ganz ruhig: »Gut, dass du uns hast erzählt Geschichte.«
    Und der Kupp: »Wieso?«
    Und Wlad: »Bleibt Geschichte hier, auch wenn du weggehst. Musst du auch nicht weggehen.«
    Keine Ahnung, ob es am Ende wirklich so ist, ob der Karl den Kupp überhaupt abschießen wollte und es nur nicht gemacht hat, weil wir wissen, wie es war, oder ob er von Anfang an vorhatte, die Sache im Sinne vom Kupp zu deichseln, einfach weil er ihm geglaubt hat. Jedenfalls schickt er ihn zwei Tage in den Urlaub, danach geht der Kupp direkt in den Regelvollzug. Es gibt keinen Akteneintrag und kein Verfahren. Er zieht ihn einfach aus dem Verkehr und löst das Problem, ohne dass an einem was hängen bleibt. Ich sag doch, der Mann ist ein Philosoph.
    »Sie waren ein guter Gefangener«, sagt der Karl zum Schluss, »Sie haben einen tollen Garten gemacht. Ich bin stolz auf Sie.«
    Der Kupp ist richtig angefasst, als er uns kurz darauf davon erzählt. Da hat er schon alle Sachen in seiner Zelle zusammengepackt. Der Mann, der kein Loch in den Zaun schnitt, kommt nun doch auf die andere Seite des Zauns. Er steht in unserer Zelle und will sich verabschieden. Da holt er auf einmal ein Geschenk für mich raus, eine Porno- DVD , handsigniert, seinen Lieblingsfilm.

17
    An einem Tag im Herbst hab ich plötzlich keinen Bock mehr, Muckefuck zu machen. Jeden Tag das Gestaube und der Scheißgeruch, das muss jetzt mal aufhören. Andi und ich stehen in der Küche, morgens kurz vor sechs, und schütten das braune Granulat in die Kanister, um sie mit heißem Wasser aufzugießen.
    »Ich mach das nicht mehr«, sag ich zum Andi.
    Und er so abwiegelnd: »Nee, klar.«
    Aber ich: »Ganz im Ernst, Dicker, ich schaff das ab.«
    Wir brühen zweimal täglich Muckefuck, morgens und nachmittags, jeweils zehn Liter pro Station, das sind achtzig Liter Muckefuck am Tag. Allein die Schlepperei auf die Gemeinschaftsküchen ist schon der Wahnsinn, aber dann schütten wir von dem Zeug ja jeden Tag mindestens sechzig Liter wieder weg, weil die Plörre sowieso nur die Geldstrafen trinken. Jemand, der sich richtigen Kaffee leisten kann, würde das nie anrühren.
    Kaum sind wir mit der Frühstücksausgabe fertig, klemm ich mich also hinter die Schreibmaschine, um ein Anliegen aufzusetzen. Andi und Wlad kennen das inzwischen. Sie sind jedes Mal begeistert, wenn ich im original Beamtenton so ein Ding aufsetze, bei dem es darum geht, dass wir irgendwas kriegen, was uns eigentlich nicht zusteht, was man uns aber nicht ablehnen kann, weil ich so gut argumentiere. Es gibt niemanden im Haus, der mehr Anliegen schreibt als ich, nur noch Holger, der Kinderficker, aber der will sich nur beschweren, ich will verbessern.
    »Das klappt niemals«, sagt der Andi.
    »Unmöglich«, sagt der Wlad.
    Dann wartet mal ab.
    Die beiden sitzen rechts und links von mir am Tisch. Das ist jetzt so ’ne Art Public Writing, denke ich, aber ich weiß, was ich meinem Publikum schuldig bin. Schon als ich den Betreff in das Formular eintrage, johlen Andi und Wlad auf. Ich schreibe hier nämlich zum Thema: »Muckefuck-Optimierung«.
    Und dann geht’s los:
    »Sehr geehrte Bereichsleitung,
    ich möchte Sie darauf hinweisen, dass wir täglich einen Überschuss/Verschwendung von ca. 60 Litern Muckefuck haben. Das sind in Paketen umgerechnet sechs Kilo am Tag, auf zehn Tage gerechnet über eine halbe Tonne, und auf einen Monat gerechnet fast zwei Tonnen hergestellter Muckefuck. Das liegt daran, dass der Muckefuck auf den Stationen sehr unterschiedlich beliebt ist. Nun kenne ich ja die Preise für Muckefuck nicht, ich bin aber der Meinung, dass man das ganze System optimieren könnte: Da jede Station auf ihrer Gemeinschaftsküche über einen eigenen Wasserkocher verfügt, könnte man den
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