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313

313

Titel: 313
Autoren: B Tewaag
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Reichweite, und der Wlad und ich beruhigen den Kupp.
    »Ist doch nur Gemüse, Mann«, sagt der Wlad.
    Am Ende sind wir nicht nur eine, sondern ganze zwei Stunden im Hof. Die Beamten haben schlicht vergessen, uns wieder reinzuholen. Diese Aufregung plötzlich zeigt dir, dass du inzwischen so an die Monotonie im Knast gewöhnt bist, dass deine Sinne gar nicht mehr so scharf sind wie am Anfang. Du stehst auf, du gibst das Essen aus, die gehst zur Freistunde, du sitzt an der Schreibmaschine, du hängst mit deinen Leuten rum, du hast den Andi, den Wlad, den Kupp, du hast den Krieg mit dem Kinderficker, aber eigentlich gammelst du die ganze Zeit nur ab. Es ist wie in dem Film »Und täglich grüßt das Murmeltier« und zwar für alle.
    Die Beamten überlegen ja auch nicht ständig: Welcher Häftling bricht grad aus? Wer will sich umbringen? Wo handelt einer mit Drogen? Die sitzen da seit zwanzig Jahren, machen sich ’nen Kaffee, klappen die Zeitung auf und lesen sich später mal ein paar Anliegen durch. Genauso wie du am Anfang als Häftling reinkommst und denkst: Wo muss ich hier auf dem Gang mein Leben verteidigen? Gar nicht. Die Leute sind nur scheiße drauf, wenn irgendwelche Einkaufsscheine zu spät kommen.
    Am Abend sitzen wir auf der Zelle und gucken Nachrichten. Sie sagen, dass es ein ausländischer Schwerkrimineller mit was weiß ich wie vielen Strafen war. Er saß schon in Atzleben, kam dann frei und wurde wieder aufgegriffen. Im Zugangshaus sollte er auf seine Abschiebung warten. Hat er nicht gemacht.
    »Er ist nach wie vor flüchtig«, sagt der Polizeisprecher.
    Sie senden ein Interview mit dem Ministerpräsidenten, der dazu extra vor unseren Knast gefahren wurde. Die Mauer im Rücken erzählt er, dass die Haftbedingungen jetzt unbedingt verschärft werden müssten und dass Fernseher auf den Zellen Luxus seien. Er gibt ’ne richtig peinliche Nummer ab, der Mann, aber durch ihn und die Flucht kommt unser Knast in die Medien, und so was bedeutet Stress. Das läuft immer gleich: Aktion – Reaktion.
    Die Tage darauf gehen immer wieder Beamte durch den Gang und führen zeitgleich in mehreren Zellen Kontrollen durch. Sie reißen die Türen auf, holen die Klamotten aus dem Schrank, die Lebensmittel, schrauben die kleine Dose auf, in der ich meine Utensilien für die Tätowiermaschine aufbewahre. Sie kippen alles auf den Tisch, kapieren aber nicht, wozu das Zeug gut ist, und lassen es liegen. Der Wlad und ich stehen nur dabei. Dann klopfen sie mit so einem Metallstab die Gitter ab, um zu hören, ob sie irgendwie angesägt sind. Als ob von uns einer fliehen würde.
    Zwei Wochen später sitzen der Wlad und ich nachmittags auf der Zelle und spielen Schach. Inzwischen sind wir auf unserer Station die Großmeister. Wenn Andi oder der Österreicher dazukommen, wird normalerweise gleich um einen Koffer, also fünfzig Gramm Tabak, gezockt, aber inzwischen will keiner mehr gegen uns antreten, wir sind einfach zu gut. Wlad scheint als Russe so was wie ein Schachgen zu besitzen, er sitzt einfach da, guckt, zieht, guckt wieder, während hinter seiner Stirn eine Kombination nach der anderen durchgerechnet wird. Er lässt sich nie aus der Ruhe bringen, egal, ob er gewinnt oder verliert. Das ist bei mir vollkommen anders. Ich spiele zwar nicht mehr so aggressiv wie am Anfang, wo ich nach fünf Minuten meistens ohne Läufer, Springer oder Dame dastand, weil ich sie total ungeschützt ins Feuer geschickt habe, aber ich werfe immer noch alles wie in einer riesigen Angriffswelle nach vorn, dass ich, wenn das nicht im ersten Anlauf klappt, danach zwangsläufig einbreche.
    Da wird auf einmal die Tür aufgerissen und in unserer Zelle steht der Kupp, das Gesicht weiß wie die Wand.
    Er sagt nur: »Jungs! Jungs!«
    Wlad ist sauer: »Was störst du Spiel, Gärtner?«
    Aber ich sehe, der Kupp klappt uns gleich zusammen, wenn er sich nicht hinsetzen kann. Er ist absolut verzweifelt.
    »Ich hab ’n Mordsproblem an der Hacke«, sagt er, »ihr könnt euch nicht vorstellen, was mir grad passiert ist.«
    Und zwar Folgendes: Wie an jedem Tag geht der Kupp heute Morgen in seinen Garten. Nach den Tomaten will er nun auch die Blumen eingittern, weil die Kaninchen die ihm immer abfressen. Der Kupp hasst die Kaninchen. Tagsüber kann er sie noch vertreiben, aber nachts muss er von seinem vergitterten Fenster aus hilflos zuschauen, wie mindestens dreißig der Viecher aus ihren Löchern kommen und ihm seine schönen Beete rasieren. Sie fressen immer die
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