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313

313

Titel: 313
Autoren: B Tewaag
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Knospen, bevor daraus Blüten werden. Also hat der Kupp in der Kammer weiteren Draht bestellt und ist auch gerade wieder dabei, neue Zäune zu basteln, als plötzlich dieser junge Beamte neben ihm steht, der vor Kurzem zu uns ins Haus A kam. Er ist einer von diesen Milchbubis, denen noch Erfahrung fehlt und die darum oft zwischen sehr streng und sehr locker hin und her schwanken, was für den Gefangenen immer unangenehm ist, weil er nicht weiß, worauf er sich einstellen kann.
    »Herr Kupp, was machen Sie denn da?«, fragt er also.
    Und der Kupp sagt: »Ach, diese Scheißkarnickel.«
    Der Kupp erzählt jetzt genauestens, was sie ihm in der vergangenen Nacht wieder alles abgefressen haben, was er umtopfen und neu bestellen muss und wo er überall Zäune aufstellen will. So langsam hat er einen richtig kranken Knast für Pflanzen am Laufen. Das ist richtig abgefuckt, dass Gefangene im Knast auch nichts Besseres zu tun haben, als anderen die Freiheit zu nehmen.
    Die beiden reden noch ein bisschen übers Wetter, dass es so heiß ist und die Pflanzen eigentlich Regen brauchen, da fällt dem jungen Beamten auf einmal der Seitenschneider auf, mit dem der Kupp hantiert. Das ist so ein Ding zum Drahtdurchzwicken.
    »Ist ja allerhand, was Sie hier ausgehändigt kriegen«, sagt er, beugt sich runter und nimmt den Seitenschneider in die Hand.
    Der Kupp fragt noch blöd: »Wieso?«
    Und der Beamte: »Naja, so als Häftling.«
    Da ahnt der Kupp auf einmal, dass sich hier gleich eine Vollkatastrophe anbahnt, wenn er den Seitenschneider nicht sofort wieder in die Hand kriegt. Aber da ist es schon zu spät.
    »Kann das Ding denn was?«, fragt der Beamte.
    Im nächsten Moment steht er an dem Sicherheitszaun, der den Hof von Haus A umgibt, setzt den Seitenschneider in Brusthöhe an, drückt zu und zwickt original den Hauptzaun durch.
    »Ist nicht wahr!«, sag ich, als der Kupp das erzählt.
    Er sitzt immer noch auf dem Bett, macht sich mit den Händen nervös in seinem Gesicht rum, ist immer noch komplett durch den Wind, als könnte er die Geschichte selbst nicht fassen.
    »Doch«, sagt der Kupp, »einmal sauber durchgezwickt.«
    »Und was hat dann gemacht dieser Idiot?«, fragt Wlad, der die ganze Zeit kopfschüttelnd zugehört hat.
    Und der Kupp: »Er meinte, oh, krass, das funktioniert ja, hat den Seitenschneider wieder hingelegt und ist weggegangen.«
    »Na und?«, fragt der Wlad. »Wo ist Problem?«
    Aber natürlich hat Kupp total recht damit, jetzt hier zu sitzen, als gehe er morgen für immer nach Atzleben. Der Beamte war vollkommen schockiert. Das ist kein Zaun, wie du ihn im Baumarkt bekommst. Das ist ein richtig krasser Gefängniszaun, und den hat er jetzt durchgezwickt. Ein Wärter schneidet den Gefangenen den Zaun durch. Logisch, dass der ’ne Weile braucht, bis er kapiert, was er da gemacht hat.
    »Na und«, sagt Wlad wieder. »Wo ist verdammte Problem?«
    Das Problem ist, dass der Kupp für den verkackten Seitenschneider verantwortlich ist. Er hat dafür unterschrieben, nur er darf den haben. Wenn jetzt die Beamten routinemäßig Schritt für Schritt den Zaun kontrollieren, werden sie das Loch finden. Die Einzigen, die auf den Grünstreifen vor den Zaun treten dürfen, sind der Kupp und sein Hilfsarbeiter, und der Einzige, der ein Werkzeug hat, das da durchkommt, ist der Kupp. Also hat er auch das Problem. Vor allem, wo alle jetzt so fickrig sind, weil einer getürmt ist.
    »Was soll ich denn jetzt machen?«, jammert der Kupp.
    Er ist echt verzweifelt. Der einzige Gefangene, der sich dem Knast so weit angepasst hat, dass er sogar Pflanzen einsperrt, ausgerechnet der könnte in Verdacht geraten, ausbrechen zu wollen.
    Ich sag also zum Kupp: »Ja, nichts.«
    Und der Wlad auch: »Gar nichts.«
    Aber im Kopf von Kupp läuft jetzt schon der Atzleben-Film an. Die Beamten finden das Loch. Sie klopfen beim Kupp. Der erzählt ihnen, wie es war, aber er hat keine Zeugen. Der Beamte streitet alles ab. Er sagt natürlich nicht, dass er in seinen fünf Minuten Geistesabwesenheit spontan den Seitenschneider ausprobiert hat und damit riskiert, seinen Job zu verlieren. Er fragt, warum sollte ich vor den Augen eines Gefangenen den Hauptzaun durchschneiden? Geht das überhaupt? Wär das nicht irre?
    »Ich bin echt am Arsch, Leute«, sagt der Kupp, »ich geh nach Atzleben, wegen Beschädigung von Staatseigentum oder sonst was. Die drücken mir das auf, Mann. Ich bin am Arsch.«
    Und ich: »Scheiße, so unfair kann die Welt doch nicht
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