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313

313

Titel: 313
Autoren: B Tewaag
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Häftlingen, die das wünschen, bei der Essenausgabe eine kleinere Dose Muckefuckpulver aushändigen. So hätten sie die Möglichkeit, ihren Muckefuck nach Belieben selbst zu brühen. Das wäre ökonomisch sinnvoll und würde der JVA über das Jahr sicher einiges an Geld sparen, das sich an anderer Stelle besser einsetzen ließe.
    Mit freundlichen Grüßen,
    Oli Stein, Vorarbeiter Essenausgabe«
    Ich bin noch nicht fertig, da kullern sich Andi und Wlad schon auf dem Tisch. Die finden das albern, wie ich mich hier aufführe, aber ich bin sicher, ich krieg das hin, dass sich das Thema Muckefuck irgendwann für uns erledigt hat.
    Als ich am nächsten Tag zum alten Scherer ins Büro gerufen werde, bin ich gespannt. Das mag ’ne kleine Sache sein, aber die Erwartungshaltung ist groß. Der Scherer sitzt schon wieder so gemütlich in seiner Uniform da, dass ich für einen Moment denke, das Letzte, was der an diesem Morgen gebrauchen kann, ist, dass jemand das Muckefuck-System der JVA umstellen will.
    »Was haben Sie sich denn da wieder ausgedacht?«, sagt er.
    Er hat mein Anliegen vor sich, das geht über zwei Seiten und die entscheidenden Stellen hat er sich mit einem Textmarker angestrichen, als sei dahinter irgendeine Nachricht versteckt. Hab ich noch nie gesehen bei ihm. Der alte Scherer ist misstrauisch.
    Ich sag: »Wieso denn ausgedacht? Mir ist einfach aufgefallen, dass wir von dem Zeug die ganze Zeit so viel wegschütten. Ich bin ja nicht dafür da, die JVA zu verbessern, aber ich kann Ihnen nur sagen, das ist halt schon heftig, was da weggeht.«
    Er versucht durch ein paar Fragen herauszufinden, wo an der Sache mein persönliches Interesse ist, aber er kommt nicht drauf, und als ich ihm erzähle, dass drüben im Lager von der Metzgerei so kleine Plastikdosen liegen, in die wir normalerweise Fleischsalat reinmachen, und dass man die nutzen könnte, um den Leuten ihren Muckefuck beim Frühstück gleich in die Hand zu drücken, da sieht er, dass ich alles sauber geplant habe, und gibt auf.
    »Das klingt ja alles sehr logisch, Herr Stein«, meint er noch so streng. »Na, dann probieren Sie das mal aus.«
    Ich sag: »Großartig.«
    Dann kehre ich feierlich in die Zelle zurück und verkünde den Jungs, dass wir morgens jetzt immer eine Viertelstunde länger pennen können, weil wir keinen Muckefuck mehr machen müssen, nur Tee aufbrühen, weil der immer getrunken wird. Damit hab ich soeben unsere Arbeit locker mal halbiert.
    Am nächsten Tag gehen wir morgens wie immer in die Metzgerei, um das Essen zu holen. Es ist inzwischen manchmal schon derbe kalt. Mein erster Sommer im Knast geht langsam zu Ende. Was hab ich mir nicht alles vorgestellt, als ich mich mit meinen zwei Taschen im Frühling an der Schleuse vom Haupttor gemeldet hab. Wie wenig ist davon eingetreten. Und wie viel, das ich mir nie hätte ausmalen können, ist stattdessen entstanden.
    Vor ein paar Tagen hab ich überraschenderweise eine Karte von den beiden Escortgirls bekommen, bei denen ich gewohnt hab in der Zeit, als ich täglich auf den verdammten Stellungsbefehl gewartet hab. Das scheint mir schon so lange her zu sein. Jeden Tag hab ich mich zugesoffen, damit ich am Abend genug Mut hatte, um überhaupt den Briefkasten zu öffnen. Ich hab so gewartet auf diesen Scheißschrieb und hatte gleichzeitig so viel Angst davor. Als ich dann einmal abends einfach heulend im Treppenhaus liegen blieb, haben die Mädels die Tür aufgemacht und mich reingeholt. Sie wohnten unter mir und haben manchmal meine laute Musik gehört.
    »Was ist denn mit dir?«, haben sie gefragt.
    Und ich so total verrotzt: »Bei mir ist grad alles scheiße.«
    Ich hab ihnen sofort die komplette Katastrophe aufgeblättert, als ich bei ihnen auf dem Sofa saß, und mich die nächsten Tagen von dort auch nicht mehr runterbewegt. Die Mädels kamen aus Polen und meinten, sie würden als Zahnarzthelferinnen arbeiten. Aber wenn das stimmte, war das eine Praxis, die erst abends um neun aufmachte und in der man hohe Stiefel für zweitausend Euro tragen musste. Mal ganz abgesehen davon, dass man mit den Behandlungen offenbar so viel verdiente, dass man sich solche Klamotten überhaupt leisten konnte. Wir haben nie drüber geredet, die Mädels und ich, es war einfach klar, wohin sie gingen. Und wenn sie zurückkamen, haben sie den ganzen Mist in die Badewanne geworfen, sich eine halbe Stunde geschrubbt und mit rosa Plüschsöckchen und Trainingshose vor den Fernseher gesetzt, wo ich nur in
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