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306 - Ein Hort des Wissens

306 - Ein Hort des Wissens

Titel: 306 - Ein Hort des Wissens
Autoren: Jo Zybell
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zur Westseite!«, zischte er. »Calora und die anderen sollen den Angriff einstellen! Sofort!« Die Burschen huschten in den Wald.
    ***
    Eine Stunde später hockten sie am Waldrand, nicht weit von der Stelle entfernt, wo der Fahrweg aus dem Wald in die Rodung mündete. Sie berieten sich über ihr weiteres Vorgehen.
    Rulfan schwieg die meiste Zeit. Maßloser Hass auf die Exekutoren und den verlogenen Meister Chan einerseits und brennende Sorge um Myrial und das Kind andererseits rissen ihn hin und her.
    Einer der Späher schlich heran, ein junger Schmied aus Corkaich. »Sie lassen jemanden die Mauer herab«, meldete er.
    Rulfan, Meinhart und einige andere schlichen zum Waldrand. Von dort aus beobachteten sie, wie ein Mann aus der Böschung des Burggrabens kletterte. Am anderen Ufer wurde gerade das Seil die Mauer hinauf gezogen.
    Der Mann wankte in die Rodung hinein, stolperte und schlug lang hin. »Ein Skelett«, flüsterte Rulfan, der den Mann durch den Feldstecher beobachtete. »Er ist halb verhungert und die Kleider hängen ihm in Fetzen vom Leib.«
    Nach ein paar Atemzügen rappelte der Mann sich wieder auf und wankte weiter dem Waldrand entgegen. Dort brach er im Unterholz zusammen. Er war ohnmächtig, als sie zu ihm kamen. Rulfan erkannte ihn erst auf den zweiten Blick: Es war der Hauptmann seiner Burgwache.
    Sie trugen ihn zu den anderen, flößten ihm Wasser ein und steckten ihm süße Brabeelen zwischen die Lippen. Er war klatschnass, und Rulfan fragte sich, wie dieser entkräftete Hungerleider es geschafft hatte, durch den Burggraben zu schwimmen.
    Irgendwann kam der Bedauernswerte zu sich und schlug die Augen auf. »Rulfan«, flüsterte er, »Herr... es tut mir so leid...« Rulfan drückte ihm nur die Hand, brachte kein Wort über die Lippen, so sehr schockierte ihn der Anblick des halb Skelettierten.
    »Ich bin Rulfans Vater«, sprach Sir Leonard ihn an, »warum haben sie dich die Mauer herabgelassen?«
    »Eine Nachricht von Varmer.« Der fahrige Blick des Mannes suchte Rulfan. »Er will nur Euch, Herr. Wenn Ihr bis Sonnenuntergang zu ihm in die Burg geht und Euch gefangen gebt, zieht er ab und lässt alle Gefangenen frei. Wenn nicht, stirbt zuerst Eure Frau und eine Stunde danach auch Euer Sohn.« Sein Kopf sackte ins Unterholz, er schloss wieder die Augen.
    Rulfan starrte zur Burgmauer hinüber. »Verfluchter Chan«, flüsterte er. »Da steckt er dahinter, nur er.« Im Stillen verfluchte er auch Jed Stuart, der ihm die Waffenhilfe verweigert hatte. Zum ersten Mal fragte er sich, ob Stuart und Chan sich gegen ihn verbündet haben mochten. Doch warum?
    »Dieser Varmer ist ein Teufel.« Sir Leonard trat neben seinen Sohn. »Er lügt. Du darfst um keinen Preis hinübergehen.«
    »Was soll ich denn tun? Er hat Myrial und deinen Enkel, Vater. Sag mir was ich tun soll.«
    »Lass uns noch einmal nachdenken«, sagte Sir Leonard, »vielleicht gelingt uns doch noch eine Kriegslist.«
    »Selbst wenn er lügt, würde ich doch diesen verfluchten Chan wiedersehen, wenn ich hinüber gehe.« Aus schmalen Augen belauerte Rulfan die Zinnen. »Vielleicht kann ich dann wenigstens Rache nehmen, vielleicht schaffe ich es, ihm die Kehle durchzuschneiden.« Hass funkelte in seinen roten Augen.
    »Und wenn er den Auftrag hat, dich tot nach Glesgo zu bringen?«
    »Zu den Waffen!«, brüllte Meinhart plötzlich. Leonard und Rulfan fuhren herum. Beide erstarrten: Von allen Richtungen stapften Exekutoren durch den Wald und kamen auf sie zu.
    »Verflucht«, flüsterte Rulfan. »Wir sind eingekesselt.«
    ***
    »Nur keine Panik.« Varmer feixte der Frau ins Gesicht und kniff sie in die von Tränen feuchten Wangen. Sie hockte auf dem Wehrgang, lehnte gegen die Mauer und drückte ihren Säugling gegen die entblößte Brust. Der Balg saugte, als wäre er am Verdursten.
    »Alles wird gut, meine süße Myrial. Der Varmer ist kein Unmensch, weißt du?« Varmer zog sie am Ohrläppchen, drückte ihr die wulstigen Lippen auf die Schläfe. »Wer nicht für ihn ist, der ist gegen ihn, und den wird der Varmer natürlich hart bestrafen. Überlege es dir also noch einmal, Schätzchen. Als Weib des Chefexekutors von Glesgo wirst du ein schönes Leben haben, das gebe ich dir schriftlich.« Er küsste sie auf die Wange.
    Myrial zog die Schultern hoch und wandte angewidert den Kopf ab. Dem Kind rutschte die Brust aus dem Mund, es begann lauthals zu quäken.
    »Hoss!«, rief in diesem Moment einer der Exekutoren auf dem Wehrgang. »Der Hoss kommt
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