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303 - Tod einer Königin

303 - Tod einer Königin

Titel: 303 - Tod einer Königin
Autoren: Jo Zybell
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schlängelte sich durch eine Gasse zwischen zwei gut erhaltenen Mauern. Eine Birke wuchs mitten in der Lücke, der Pfad führte an ihr vorbei und dann einen von Gestrüpp bewachsenen Geröllhügel hinauf. Sie folgte ihm bis nach oben. Dort blieb sie stehen und blinzelte in die Nacht: Unter ihr erhob sich das Prachtzelt auf dem von Trümmern geräumten Platz.
    Kopfschüttelnd wunderte sie sich über sich selbst: Obwohl sie doch erkannt hatte, wohin der Pfad sie führen würde, war sie ihm weiter gefolgt und zurück zum Zelt gelangt. Ein Zeichen Wudans?
    Und wieder die lästige Stimme der Greisin in ihrem Schädel: Denke über meine Worte nach. Haben sie dich je getäuscht? Waren sie dir nicht immer ein Pfad durch die Wildnis deines Lebens?
    »Sie haben mich zu Maddrax geführt, bei Orguudoo!«, schimpfte Aruula. »Und in tausend Schwierigkeiten, die mir die Begegnung mit diesem Kerl eingebracht haben!«
    Sie wollte kehrtmachen und weglaufen, brachte es aber aus irgendeinem Grund nicht über sich. Wie festgefroren stand sie auf der Kuppe der nächtlichen Geröllhalde und betrachtete die dunkle Silhouette des Zeltes unten auf dem Platz. Kein Licht brannte vor oder in ihm, das Lager schien vollkommen verlassen.
    Sie gab sich einen Ruck und folgte dem Pfad hinunter zum Platz. Wenn das Schicksal sie bis hierhin geführt hatte, sollte sie den letzten Rest des Weges auch noch gehen. Die aufdringlichen Schwestern hatten wohl endlich akzeptiert, dass sie ihre Entscheidung allein und ohne Druck fällen wollte, und sich zurückgezogen. Also würde niemand voreilige Schlüsse ziehen, wenn sie sich das Zelt einmal aus der Nähe betrachtete.
    Wenig später stand sie davor. Es war fast drei Speerlängen hoch. Sie ließ den Tornister von der Schulter gleiten und berührte die Plane – weich und dicht gewebt fühlte der Stoff sich an. Schwarzrot sah er im Dunkeln aus, und die goldfarbenen Zeichen, die ihn schmückten, funkelten im Sternenlicht.
    Ohne die Hand von der Plane zu nehmen, begann Aruula um das Königinnenzelt herum zu schreiten. Seltsam feierlich war ihr zumute. Sie atmete schneller als sonst, und das Herz schlug ihr im Halse. Nach etwas mehr als achtzehn Schritten stand sie wieder bei ihrem Tornister und vor dem Eingang.
    Sollte sie hineingehen? Nur einmal und nur ganz kurz?
    Irritiert stellte sie fest, dass sie bereits dabei war, die Ösen der Eingangsplane zu lösen, noch bevor sie die Frage bewusst für sich beantwortet hatte. Wie in Trance schob sie die Plane beiseite und trat ein.
    Ein schwach glühender Lichtschein schwebte in der Mitte des Zeltes zwischen Boden und Spitze. Eine glimmende Öllampe, die gleichzeitig für wohlige Wärme sorgte. Der Zeltstoff war zu dicht gewebt, als dass man das schwache Licht von außen hätte sehen können.
    Aruula ging zur Lampe, streckte sich und zog sie ein Stück herunter, um sie aufzudrehen. Als eine helle Flamme vom Docht aufsprang, sah sie sich um.
    Erst im Lampenschein entfaltete sich die ganze Pracht des dunkelroten Stoffes und der goldfarbenen Ornamente. Ein Raum für eine Königin, wahrhaftig!
    Das Zelt durchmaß etwas mehr als sechs Schritte. Gegenüber dem Eingang stand Lusaanas Thronsessel. Hatte Juneeda ihn also aus der Festung der Königinnen zum Festland herüber schaffen lassen. Und der ganze Aufwand nur, um sie dazu zu bringen, die Berufung zur Königin der Dreizehn Inseln anzunehmen.
    Aruula wusste nicht, ob sie sich verärgert oder geschmeichelt fühlen sollte.
    Ein Gewand lag auf dem Thronsessel – ein roter Umhang mit Hermelinborde, ein Ledergurt und ein weißes Seidenkleid.
    Das Gewand, das sie auch in ihrem Traum gesehen hatte!
    ***
    Grao’sil’aana hatte die Umrisse ihrer Gestalt sofort entdeckt, als sie auf der Kuppe des Hügels auftauchte, etwa einen Speerwurf entfernt. Aruula schritt aus, als hätte sie ein Ziel. Es schien ihm, als führte sie Selbstgespräche. Mit wem? Sprach sie zu ihrem Gott?
    Schließlich erreichte sie das Zelt. Aruula ging einmal darum herum, dann knüpfte sie den Eingang auf und verschwand in seinem Inneren.
    Grao erhob sich. Eine günstigere Gelegenheit würde er nicht erhalten. Wenn er unbemerkt bis zu dem Zelt gelangte, konnte er sie mühelos überrumpeln, wenn sie...
    Da brach auf einmal ein Zweig ganz in seiner Nähe. Grao’sil’aana fuhr herum. Eine Kriegerin der Dreizehn Inseln sprang aus dem Gestrüpp! Über ihrem Kopf hielt sie eine zum Stoß erhobene Lanze. Blitzschnell warf sich der Daa’mure zur Seite – und die
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