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291 - Die heilige Stadt

291 - Die heilige Stadt

Titel: 291 - Die heilige Stadt
Autoren: Christian Schwarz
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seiner Umgebung.
    Chan hatte die letzten einhundert Jahre ein einsames Leben geführt, das Leben eines Unnahbaren, eines Mächtigen. Lange Zeit hatte er nicht das Bedürfnis gehabt, mit jemandem auf Augenhöhe zu verkehren, Ansichten und Geschichten zu teilen, über »Buddha und die Welt« zu philosophieren. Seine Rolle hatte ihm so gefallen, wie sie war, denn er hatte mehr als genug mit sich selbst zu tun gehabt. Doch jetzt…
    Meister Chan seufzte und stieg unter die Dusche. Vor einigen Jahren noch hätte er sich jetzt eine der jungen Frauen kommen lassen, um sich mit ihr zu vergnügen. Doch er stellte fest, dass die Dinge, die ihm wirkliches Vergnügen bereiteten, nun andere waren. Vor allem hätte er gerne mit jemandem über seine ungeheuerliche Reise gesprochen, aber auch mit seinem unglaublichen Wissen geprahlt. Und darauf gehofft, dass sein Gesprächspartner ihm Contra gab.
    Niemand hier in Eibrex gab ihm Contra, niemand wagte es, ihn gar in die Enge zu treiben, außer denen, die darauf aus waren, einen fürchterlichen Tod zu erleiden.
    Oh, ihr Unwissenden, heute würde ich euch für eure Widerworte mit dem Eibrex- Orden erster Klasse auszeichnen .
    Chan kicherte erneut und ließ seine Gedanken weiter schweifen. Nein, niemand in Eibrex wagte es, sich ihm zu stellen. Dabei gab es unter den Erleuchteten , den Leuten aus seinem engsten Umfeld, durchaus Gebildete, bei denen es wahrscheinlich ein Lustgewinn sein würde, verbal die Klingen mit ihnen zu kreuzen. Die weitaus meisten von ihnen verachtete er allerdings wegen ihrer äußerst einfach strukturierten Gedanken, die ihn so sehr langweilten und die keine intellektuelle Herausforderung für ihn darstellten.
    Jeder bekommt irgendwann die Quittung für das, was er aus seinem Leben macht. Aber vielleicht hegt das Schicksal auch einmal Sympathien für alte Narren, wer weiß das schon?
    Chan stieg aus der Dusche und aktivierte mit zweimaligem Klatschen den Ganzkörperföhn. Aus Wanddüsen strömte warme Luft und trocknete ihn sanft. Der Herr von Eibrex rieb sich sorgfältig mit duftenden Ölen ein und betrat dann seine prunkvoll ausgestatteten Wohnräume, die von insgesamt einhundertsiebenundsiebzig goldenen Buddhastatuen aller Formen und Größen bewacht wurden.
    Die riesige Zimmerflucht war tief in die Erde hinein gebaut und einer Felsenhöhle mit vierzehn Kammern nachempfunden. Die kompletten Wände wurden scheinbar von Millionen von Schriften, Büchern und Kristallen, die sich in Regalen und Felsnischen stapelten, bedeckt.
    Alles Lüge. Es handelte sich nur um Folien mit den Abbildern von Schriften, Büchern und Kristallen, die aber einen täuschend echten Eindruck machten.
    Einen Moment lang betrachtete Chan wehmütig die falschen Bücher und dann das Lichtsystem, das dem in Agartha nachempfunden war. Er hätte es nun eigentlich hassen müssen - stattdessen hätte er Rulfan liebend gern von der großartigen und ausgeklügelten Technik der Lichtanlage vorgeschwärmt - und allem anderen, was die Einmaligkeit und Größe Agarthas ausmachte. Der Ort, an den er niemals wieder zurückkehren würde.
    Fast einhundert Jahre lang war nun schon der Ibrox Park, das ehemalige Stadion des Fußballclubs Glasgow Rangers, das er zur Festung ausgebaut hatte, seine Zuflucht und Machtzentrale - seine Heimat war es nie. Das wurde ihm nie stärker bewusst als nach seinen Bittgängen nach Agartha. Konnte man mit seinem Heimweh fertig werden, indem man seine Heimat imitierte? Nein.
    Chan wusste nicht, wie er sich bis zu Rulfans Ankunft noch die Zeit vertreiben sollte. Voller Unruhe ging er auf und ab, wie ein Tyger, den man in einen Käfig gesperrt hatte. Und genauso fühlte er sich.
    Chan wartete. Schon viele Wochen lang. Und er wurde stündlich ungeduldiger. Er wartete auf Alastar, den Chef seiner Exekutoren, der den Auftrag hatte, Rulfan zu ihm zu bringen. Längst hätten die beiden hier sein sollen. Der Chefexekutor würde schon eine sehr gute Ausrede für seine Verspätung vorbringen müssen…
    Der Herr von Eibrex und der Reenschas setzte sich nun doch in eine Nische, die einer Leseecke nachempfunden war. Von einem Glastisch, der auf einer bauchigen Vase ruhte, nahm er seinen Handheld-Computer. Mit einem Knopfdruck schaltete er das Eibrex-Pad - kurz Ei-Pad genannt - ein. Er rief das Programm auf, das die Nachrichten verwaltete und speicherte, die ihm Alastar lieferte. Dem Chefexekutor kam die Aufgabe zu, die Berichte seiner Leute aus ganz Euree zu sammeln und Chan einmal
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