Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
291 - Die heilige Stadt

291 - Die heilige Stadt

Titel: 291 - Die heilige Stadt
Autoren: Christian Schwarz
Vom Netzwerk:
Fortpflanzung drehten und in denen sie sich zu verlieren drohte. Es war sehr verlockend für sie, in diesen unglaublich starken und wilden Impulsen aufzugehen, sich von ihnen forttreiben zu lassen, eins mit ihnen zu werden. Doch ihre eigenen Instinkte signalisierten ihr, dass das den endgültigen Tod bedeutet hätte.
    Und noch etwas bekam sie instinktiv mit: Ihr Geist war dieser brodelnden mentalen Suppe, in der sie keinen einzigen klaren Gedanken feststellen konnte, haushoch überlegen. Und sie konnte darauf zugreifen. Blitzschnell übernahm sie das Gehirn und schaltete sich dadurch schlagartig in sämtliche Funktionen ein.
    Die Hydree schrie schrill. Zu fürchterlich war der Anblick, als es hell vor ihr wurde, weil sie durch fremde Augen sah. Vor ihr, in dem riesigen Maul, hing - sie selbst! Zerfetzt, blutend, tot.
    Aber ich bin doch nicht tot…
    Ihr Körper schon. Er wurde soeben wütend geschüttelt. Da sie noch keine Kontrolle über die unglaublich fremden Abläufe in diesem Körper hatte und die riesige Bestie sich gegen den fremden Geist zu wehren begann, zuckte, verdrehte und wand sich der Saurierkörper wie wahnsinnig. Das Maul klappte dabei auf, der tote Körper der Hydree trudelte in die Meerestiefen davon.
    Fast zwei kleine Zeiten dauerte es doch noch, bis Manil'bud den Kampf gewonnen und die Mentalsubstanz des Sauriers vollkommen unter Kontrolle hatte. Jetzt konnte sie auch den Körper steuern und sich vollkommen in ihn hineinfühlen.
    Wie wunderbar leicht und elegant sie in ihm dahingleiten konnte! Er war so viel besser für diese Welt geschaffen als ihr hydreeischer!
    Was ist mit mir passiert? Ist das normal? Oder… oder bin ich etwa ein Geistwanderer, wie mein Gefährte Gilam'esh es war?
    Sie wusste, dass die Hydree mächtige Telepathen hervorbrachten, wenn auch äußerst selten. Konnte es also tatsächlich sein? Hatte sich der Geistwanderer Gilam'esh instinktiv zu der Geistwanderin Manil'bud hingezogen gefühlt? Und sie sich zu ihm? Waren sie deswegen von dieser großen, wunderbaren Liebe füreinander beseelt gewesen?
    Manil'bud verspürte Angst, als sie daran dachte, dass sie künftig im Körper dieses… dieses Fischs weiterleben musste. Aber war sie so nicht viel besser für diese Welt gerüstet? Konnte sie sich so nicht noch besser ihren Blutrauschphasen hingeben?
    Die Jungmutter musste innerlich lächeln, als sie ins offene Meer hinausschwamm und sich die beiden überlebenden Jungtiere ihr anschlossen.
    Bereits einige Lichter später hatte sie sich zum Anführer eines mächtigen Pliosaurier-Rudels aufgeschwungen. Und weil sie nun wusste, wie zart und fein Hydreefleisch schmeckte, holte sie sich bei nächster Gelegenheit Mosh'oyot.
    ***
    Januar 2527, Eibrex-Festung in Glesgo
    Meister Chan betrat das Badezimmer. Vor dem großen, in einen goldenen Rahmen eingelassenen Wandspiegel verharrte er einen Moment. Er hatte sich schon länger nicht mehr selbst betrachtet. Jetzt verspürte er das Bedürfnis danach. Aus einem hageren, faltigen Gesicht starrten ihm zwei trübe Augen entgegen. »Wo sind die Entschlossenheit, die Leidenschaft und das Feuer geblieben, die einst in euch gebrannt haben, meine Augen?«, murmelte er nach einigen Augenblicken vor sich hin. »Hat Agartha euch all das genommen?« Er strich sich mit beiden Händen über den kahlgeschorenen Schädel und zwirbelte dann die Enden des dünnen weißen Schnurrbarts, der ihm bis auf die Brust hinunterfiel. »Ja doch, ich befürchte es fast. Unsere Reise dorthin hat euch ermüdet. Aber ich sehe auch etwas Wut und Enttäuschung in euch.«
    Er kicherte, mit einem höchst gemeinen Unterton. »Bemerke ich da sogar ein wenig Hass? Tatsächlich. Möglicherweise könnte er euch nochmals zum Glühen bringen. Doch zu was sollte das gut sein? So wie es aussieht, werden wir nun bis zum bitteren Ende hier in Schottland gestrandet bleiben. Das ist bitter, sehr bitter. Ich überlege, ob wir die Welt an dieser Bitterkeit teilhaben lassen sollten, was meint ihr? Vielleicht sollten wir es davon abhängig machen, ob Rulfan das hält, was ich mir von ihm verspreche.«
    Chan schlüpfte aus der dunkelblauen Kutte, die als großes Brustbild das Zeichen der Reenschas zeigte, einen aufgerichteten roten Löwen in einem roten Kreis. Der schlanke, muskulöse Körper wirkte wie der eines Vierzigjährigen. Kein Uneingeweihter wäre auf die Idee gekommen, dass Meister Chan bereits hundertdreiundvierzig Jahre auf dem Buckel hatte. Und uneingeweiht waren praktisch alle in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher