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281 - Bausteine des Lebens

281 - Bausteine des Lebens

Titel: 281 - Bausteine des Lebens
Autoren: Sascha Vennemann
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schmalen Planken stand. Er war mit einem groben Tuch abgedeckt, aber Teggar wusste, was sich darunter befand: eine formlose Masse aus öliger Schwärze, verrottendem Fleisch und bleichen Knochen. Das war alles, was von Mavrik übrig geblieben war.
    Am frühen Nachmittag des vierten Tages - die Feuer waren gerade für die Zubereitung des Tagesmahls entfacht worden und fast alle Bewohner tummelten sich gesellig auf dem Dorfplatz - waren Rufe von den Wachtürmen erklungen. Ein einzelner Mann näherte sich den Palisaden, mehr kriechend denn gehend. Offenbar war er verletzt.
    Chiiftan Teggar war persönlich zum Tor geeilt und hatte es geöffnet. Der Anblick, den der Mann bot, hatte ihm die Tränen in die Augen getrieben.
    Mavrik war kaum noch als der zu erkennen gewesen, als der er aufgebrochen war. Seine Lederkluft war verschmiert und zerrissen. Klettenpflanzen hingen in seinen strähnigen Haaren, die teils schon ausgefallen waren und den Blick auf eine schwärzliche Kopfhaut freigaben. Schwarze Rinnsale einer sämigen Flüssigkeit flossen dem Barbaren aus den geröteten Augen. Dieselbe Masse tropfte aus Ohren und dem Loch mitten im Gesicht, das einmal Mavriks Nase gewesen war. Es sah aus, als hätte sie ihm ein großes Tier abgerissen. Der Oberkiefer des Mannes lag frei, wie bei einem Totenschädel.
    Mavrik war nach vorne gestürzt, und Teggar hatte ihn aufgefangen und zu Boden gelegt. Er wusste, dass es keinen Sinn mehr hatte, mit ihm zu sprechen. Mavriks Ohren waren mit der Masse verklebt; er hatte Glück, dass seine Augen noch nicht im Schädel zerflossen waren.
    Das kritische Stadium des Schwarzen Tods war weit überschritten, was nur bedeuten konnte, dass die Grenze immer noch bestand. Wudan mochte wissen, wie weit sich Mavrik über das bekannte Limit hinaus vorgewagt hatte. Wie auch immer, es hatte ihn das Leben gekostet. Und die Gewissheit, einen seiner Untergebenen in den Tod geschickt zu haben, nagte an Teggar.
    »Ich sehe, dass du dir Verwürfe machst«, hatte Mecloot zu seinem Clanführer gesagt. »Aber es war die richtige Entscheidung, jemanden loszuschicken. Mavrik kannte das Risiko und ist trotzdem gegangen. Er verdient es, bei jenen zu ruhen, die vor ihm gegangen sind.«
    In regelmäßigen Abständen tauchten die Ruder der Boote ins Wasser, bildeten den Grundrhythmus für den Stakkato-Gesang der Heiligen Frau.
    Chiiftan Teggar seufzte. Er sah aus, als hätte er nicht mehr als fünfundzwanzig Winter auf dem Buckel, aber er lebte mit seinem Stamm nun schon über dreihundert Jahreszeitenwechsel hier am See. Und so wie es aussah, würden es noch ein paar mehr werden. »Sein Tod war nicht umsonst«, murmelte er. »Nun wissen wir, dass der Hüter auch weiterhin auf unser Schicksal Einfluss nimmt. Und dass wir weiter zu ihm beten und ihn ehren sollen.«
    »Wir sind da!«, meldete einer der Ruderer und wies auf die sich öffnende Bucht der Hüter-Insel, in der sie immer anlandeten. Zwei Männer legten die Ruder ins Boot und sprangen ins knietiefe Wasser. An geflochtenen Tauen zogen sie die Boote an Land, sobald die restlichen Insassen auf die Felsen gesprungen waren.
    Zwei Männer aus Mecloots Boot trugen die Holzkiste mit Mavriks Überresten.
    »Bringt ihn zu den anderen«, wies Teggar die beiden an. »Mecloot und ich kümmern uns um die andere Sache.«
    Die beiden Männer nickten und trugen die Kiste auf einen Spalt im Felsendom zu, wo sie ihre Toten abzulegen pflegten.
    Teggar war froh, diese Aufgabe nicht selbst übernehmen zu müssen. Die Knochen und Skelette in der kleinen Höhle waren ihm unheimlich und der Gestank der sich zersetzenden Kadaver verursachte ihm Übelkeit.
    Dieses Mal werde ich nicht darum herumkommen , wusste der Chiiftan und zog ein längliches Stück Stoff aus dem Mantel, das er sich über Mund und Nase band.
    Mecloot tat es ihm gleich. »Dann los!« Vier weitere Barbaren hatten sich einen provisorischen Mundschutz umgebunden und folgen den beiden Männern, die sich einer anderen Region des Felsendoms zuwandten.
    In den letzten zwei Tagen hatte abwechselnd die Sonne heiß vom Himmel geschienen oder es hatte geregnet. Von den blutigen Kampfspuren des Gefechts mit Ruuks Clan war nur noch wenig zu erkennen. Einige Blutspritzer waren eingetrocknet, an Stellen, wo der Regen nicht hinkam. Überall sonst hatte der kräftige Niederschlag das dunkelrote, fast schwarze Blut von den Felsen gewaschen.
    Sie konnten schon von weitem sehen, dass der Hüter noch an der Stelle lag, wo sie ihn zuletzt
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