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266 - Das Todesschiff

266 - Das Todesschiff

Titel: 266 - Das Todesschiff
Autoren: Ronald M. Hahn
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niemanden mehr hat, der seine Kisten fliegen kann, oder hast du dich freiwillig bei seinem Verein verpflichtet?«
    »Ach, Hasso…« Leonie warf die Zigarette in den Schnee, ohne sie auszutreten. »Du klingst so gehässig.« Sie seufzte. »Schade. Ist aber trotzdem schön, dich mal wieder zu sehen. Was macht deine Schwester?«
    »Felicitas? Die ist in Los Angeles.« Hasso hörte ihre Stimme, sah ihr Gesicht. Sie war ein wenig blass und noch dünner als früher, aber noch immer überirdisch schön. Wie süß ihre Stimme klang. Wie sie seinem Ohr schmeichelte. Er dachte an den sonnigen Sommer, in dem er sie als Zehnjähriger in einem Baggersee beim Nacktbaden beobachtet hatte, zwischen dichten Büschen verborgen. Noch heute brauchte er nur daran zu denken, um einen Ständer zu bekommen.
    Lass dich bloß nicht einwickeln. Hasso räusperte sich. »Was machst du hier?« Er wandte sich kurz der Einfahrt zu, an der Friedrichsen geduldig im Kübelwagen wartete. »Es ist doch nichts mit meinen Eltern?«
    »Nein.« Leonie schüttelte den Kopf. Sie wirkte ein wenig enttäuscht. Hatte sie erwartet, dass er sie in die Arme schloss und an sich drückte? »Sie wurden vor ein paar Tagen evakuiert…« Sie deutete zum Tannenwald hinüber. »Ich habe ein SS-Kommando aus Lübeck hergeflogen…«
    »Lübeck?« Hasso wurde hellhörig. »Zu welchem Zweck?«
    »Keine Ahnung.« Leonie zuckte die Achseln. »Und selbst wenn ich es wüsste, dürfte ich es dir nicht sagen.«
    »Meine Eltern sind evakuiert worden?« Hasso wusste nicht, ob er aufatmen sollte. Aus dem Mund der SS konnte das Wort alles Mögliche bedeuten. Im Geist zählte er die Nazis aus der näheren Umgebung, denen sein Alter schon aus Standesdünkel heraus auf die Zehen getreten war. »Wo sind sie?«
    »Ich weiß es nicht.« Leonie zündete sich eine neue Zigarette an.
    »Und wenn du es wüsstest«, sagte Hasso, »dürftest du es mir nicht sagen.«
    Leonies Mundwinkel zuckten. Hasso wusste nicht genau, ob sie sich ein Lachen oder ein Weinen verbiss. »Ist noch jemand im Haus außer deinen… Kameraden?«
    »Von euren Leuten, meinst du?« Leonie machte eine hilflose Geste. »Ich hab wirklich keine Ahnung, Hasso, aber ich glaube, sie wurden alle zum Volkssturm eingezogen, die Pferde und Hunde inklusive…«
    »So wie du?« Hasso wollte es wissen. Er musterte die Fliegerkombination, die ihre Rundungen nicht verbarg.
    Leonie nickte stumm. Sie wirkte sehr kleinlaut. »Ja, wie ich.« Sie räusperte sich. »Mein Onkel…« Sie winkte ab, überging seinen Namen. »Er ist ja ein großer Mann in dieser Totenkopf-Organisation - und Herrn Hitler absolut ergeben.« Dass sie von ihrem geliebten Führer als »Herrn Hitler« sprach, machte Hasso hellhörig.
    »Was ist passiert?«, fragte er. »Seit wann hast du ideologische Bauchschmerzen?«
    »Ach…« Leonie trat zurück und wandte sich der Luke ihrer Maschine zu. »Menschen lernen hinzu, und dann ändern sie sich halt.« Ihre Stimme klang dünn. Hasso hatte das Gefühl, dass sie irgendetwas schwer bereute. Dass sie ihm den Rücken zuwandte, deutete er als verlegene Geste. Als gut erzogener Mensch verkniff er sich jede weitere Frage. Er wollte sie nicht in eine noch peinlichere Lage bringen.
    »Glaubst du, es ist meiner Sicherheit abträglich, wenn ich mein Elternhaus aufsuche?«, fragte er und gab Friedrichsen mit einem Wink zu verstehen, er solle sich noch einen Moment gedulden.
    »Es ist mir wirklich peinlich, dass ich all deine Fragen mit ›Ich weiß nicht‹ beantworten muss«, sagte Leonie. Sie drehte sich wieder um, und Hasso sah, dass in ihren Augenwinkeln Tränen glitzerten. »Aber ich bin hier wirklich nur eine Art Chauffeur und habe nicht das Geringste zu melden.« Sie deutete auf den verschneiten Weg, der zum Gut der von Travens führte. »Ich habe heute Nacht einige Männer hier abgesetzt und habe den Befehl, auf ihre Rückkehr zu warten. Mehr kann ich nicht sagen.«
    »Männer von der SS?« Hasso drehte sich um. Auch in den Morgenstunden war noch Schnee gefallen, aber dort, wo die Einfahrt begann, konnte man noch Fußspuren erkennen.
    »Ja.« Leonie zuckte die Achseln. »Ich nehme an, sie wollten zu eurem Haus. Es war noch dunkel, als sie von Bord gegangen sind.« Sie deutete auf die Ju 52. »Ich habe gehört, wie sie sich unterhalten haben. Einer hat gesagt, dass sie hier sind, um viel wegzuschleppen.«
    Hasso runzelte fragend die Brauen. »Wegzuschleppen?« Seine Eltern waren evakuiert worden. Wer evakuiert wurde, durfte in
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