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261 - Ein falscher Engel

261 - Ein falscher Engel

Titel: 261 - Ein falscher Engel
Autoren: Christian Schwarz
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Wasser eintauschen wollte.
    Aber daraus wird heute wahrscheinlich nichts werden.
    Dröhnende Maschinen bedeuten in der Regel drei Dinge: Erstens haben Soldaten den Weg zu uns gefunden; an sich nicht das Schlechteste, egal welcher Seite sie angehören. Sie machen ein wenig Stunk, verschwinden aber recht schnell wieder. Wir sind Zivilisten.
    Mit uns ist nicht mehr wirklich etwas anzufangen.
    Zweitens Söldner. Sie nehmen das, was sie wollen, ziehen aber auch weiter; sie bekommen Geld, das zu rauben, was ihnen aufgetragen wurde. Sie denken ökonomisch: Jede Stadt könnte ein potentieller Auftraggeber sein, und noch immer regiert auch hier der Buschfunk die Welt. Ein schlechter Ruf brächte kein Geld, außerdem treten sie selten in größeren Verbänden auf.
    Die Dritten sind am schwierigsten, denn sie scheren sich um gar nichts mehr, außer um sich selbst. Nun, nicht viel anders als inzwischen die gesamte Weltbevölkerung. Doch sie rotten sich zusammen und plündern alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Es kümmert sie wenig, ob uns noch etwas zum Leben bleibt. Es sind schlicht Räuberbanden, die unter dem blutroten Himmel alles zerstören und mit sich nehmen, was ihnen vor die Waffen und die gierigen Finger läuft.
    Ich beobachte die Menschen aus den Augenwinkeln, sie schauen sich ängstlich an. Sie haben Angst. Es ist der erste Markt seit vier Wochen und niemand weiß, wann der nächste stattfinden wird. Am wenigsten die Händler. Immer mehr Banden machen die Gegend unsicher, nutzen die Städte für ihre Bandenkämpfe und plündern die Händler, damit keine andere Bande deren Ware in die Finger kriegen kann.
    Es wächst nicht mehr viel auf den Feldern, einige krüppelige schwarze Pflanzenreste, die weder schmecken, noch satt machen.
    Nie ist genug für jeden da. Der See und der Fluss, an dem die Stadt liegt, sind schon lange ausgetrocknet, die Fische darin verschwunden. Die Wälder sind tot. Das Vieh verendet oder ist bereits gegessen. Die Supermärkte wurden schon zu Beginn des Krieges geplündert, in dem Moment, als uns allen die Hölle bewusst wurde, in der wir uns von da an befanden.
    Die Maschinen verstummen. Die Menschen werden noch stiller.
    Lachen und Gegröle erklingen in der Ferne. Der Himmel scheint noch röter zu werden, als würde er uns warnen wollen, doch wahrscheinlich neigt sich der Tag nur dem Ende zu. Ein weiterer Tag in der Verdammnis. Einige Menschen beginnen sich davon zu schleichen. Sie haben erkannt, was da auf uns zukommt: eine Bande. Nur die Banden lachen; lachen dann, wenn sie sich auf einem ihrer Raubzüge befinden und wissen, dass leichte Beute zu machen ist.
    Wir sind wehrlos. Wir haben alles verloren, für das es sich noch zu kämpfen lohnen würde. Hab und Gut, geliebte Menschen, Familie, unser Leben und unsere Zukunft.
    Unsere Hoffnung.
    Alles.
    Wir kämpfen nicht mehr. Wir haben es satt. So bleibt der Rest von uns stehen, bereit, es über sich ergehen zu lassen. Die ersten Kämpfer schieben sich um die Kurve, ihnen voran geht der Anführer, eine große hagere Gestalt mit kalten Augen. Seinen Namen vergesse ich immer wieder, aber wir alle haben ihn schon oft genug gesehen, wurden oft genug von ihm und seinen Leuten ausgenommen, als das wir ihn jemals vergessen könnten. Wir hassen ihn; für ihn sind wir nur Spielzeuge.
    Sie bleiben nicht weit entfernt stehen. Kann die Stille selbst noch stiller werden? Es vergehen genau drei meiner Herzschläge, ehe seine Stimme über den Platz schallt.
    »Wer leitet den Markt?«
    Niemand wird so dumm sein, ihm zu antworten. Wir haben unsere Lektionen im Laufe der letzten Jahre gelernt, sie sichern unser Überleben. Alle anderen, die sie nicht befolgt haben, sind schon lange tot. Natürliche Selektion, könnte man sagen.
    »Wer leitet diesen Markt?«
    Die Stimme wird schneidender, fordernder. Natürlich wird irgendjemand einbrechen, es bricht immer jemand ein. So sind die Dinge, so geschehen die Dinge. Selektion hört nicht auf.
    »WER –«
    Ein alter Mann tritt vor.
    »Herr, wir haben keinen Leiter.«
    Die Augen des Anführers werden schmal. Es sind meistens die Alten und die Jungen, die nicht schweigen können. Alte haben wir immer noch genug, Junge habe ich schon lange keine mehr gesehen.
    »Dann bist du es ab sofort.«
    Seine Männer lachen kalt, wir anderen schweigen noch immer.
    Was hätten wir auch sagen sollen?
    »Als Marktleiter wirst du in Zukunft dafür sorgen, die Pachtgelder einzutreiben, die ich jede Woche neu festlege. Ich werde
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