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261 - Ein falscher Engel

261 - Ein falscher Engel

Titel: 261 - Ein falscher Engel
Autoren: Christian Schwarz
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sie Ninian gesucht. Jed hatte ihnen sogar Fährtenspezialisten der Cembells, des mächtigsten Clans, vermittelt, doch alles war bisher vergeblich gewesen. Irgendwann hatten sich Ninians Spuren im frischen Neuschnee verloren.
    Was würde dieses Monster in Menschengestalt nun tun?
    Rulfan wurde abgelenkt, denn Pellams Sarg stand an der Grube.
    Ayrin beugte sich leise schluchzend darüber, umarmte und küsste ihn noch einmal. Myrial, mit versteinertem Gesichtsausdruck, legte lediglich ihre Stirn darauf. Das tat auch Rulfan, obwohl er kaum in die Knie gehen konnte. Er schluckte hart, denn er hatte Pellam sehr gemocht. Nun würde der Alte nie mehr erfahren, dass der Schlossherr sein Schwiegersohn werden würde. Unwillkürlich umkrampfte Rulfan das Taschenbuch-Cover des Albinos in seiner Tasche, das so vielen Menschen den Tod gebracht hatte. Aus unerfindlichen Gründen konnte er sich nicht davon trennen.
    Die Beerdigung löste sich auf. Während sich Pancis und einige andere daran machten, das Grab zuzuschaufeln, schritt die Trauergemeinde zur Burg, wo Rulfan hatte auftischen lassen. Dabei legte er seinen Arm um Myrial.
    Würde Ninian zurückkommen? Eine Vorstellung, die Rulfan ein Dauerkribbeln zwischen den Schulterblättern verschaffte. Er kniff die Augen zusammen und stockte kurz. Myrial sah ihn fragend an.
    Dort, zwischen den Bäumen, war da nicht gerade ein roter Haarschopf gewesen?
    Unsinn, rief Rulfan sich zur Ordnung. Mach dich nicht verrückt. Das sind bloß deine überreizten Nerven. Ninian ist Vergangenheit. Sie kehrt niemals zurück.
    Aber so gern er das glauben mochte – es gelang ihm nicht wirklich.
    ENDE
    Aus dem Tagebuch des Dominikanermönchs Bartolomé de Quintanilla
    20. Februar a.d. 1499: Liegt es am schwankenden Floß, dass ich meine Schrift kaum lesen kann? Oder an meinen Fingern, die zittern wie eine Taino-Frau, wenn sie durch die Vereinigung unserer Leiber einen Hauch des wahren Glaubens empfängt?
    Grauen überfällt mich bei der Erinnerung an den heutigen Tag. Nach der Flucht vor den Taino fanden wir im Dschungel die Hütte eines greisen Indios. Malereien aus rotem Pflanzensaft bedeckten seine faltige Haut. In Mateos Augen leuchtete die Gier, als er die Ketten des Alten bemerkte. War er der »Hüter des Schatzes«, von dem der Junge im Dorf gehört hatte? Dass er Goldschmuck trug, sonst ein Privileg der Kaziken, deutete darauf hin.
    Mateo befragte ihn nach der Herkunft des Goldes, drohte ihm Gewalt an. Doch nicht einmal Maxims hünenhafte Erscheinung entlockte dem Alten ein Zeichen der Angst. Er bat uns in die Hütte, wo trotz der Hitze ein Feuer brannte.
    Der Alte setzte sich nieder, begann Unverständliches zu murmeln. Dann warf er plötzlich ein Pulver in die Flammen und süßlicher Geruch schwängerte die Luft.
    Kurz darauf sprang Mateo auf. Entsetzen entstellte sein Gesicht. Er rief: »Weiche von mir, Hernan! Du bist tot!«, dann stürzte er hinaus. Maxim, sonst ein furchtloser Bursche, eilte schreiend hinterher. Auch El Cànido und Garota folgten mit schreckverzerrten Mienen. Da sah ich, was sie in Panik versetzt hatte: Statt des Alten saß mir ein widerliches, kahlköpfiges Wesen mit riesigen Augen gegenüber: Yucahú, der Gott der Indios! Er wollte sich mit meinem Leib vereinen und mich zum Glauben der Taino bekehren! Von Grauen erfüllt rannte ich meinen Gefährten hinterher.
    Während unserer kopflosen Flucht verloren wir die Orientierung, doch in seiner unermesslichen Güte führte uns der Herr an einen Wasserlauf, wo wir auf einen weißhaarigen Conquistador auf einem Floß stießen. Don Alejandro, so sein Name, scheint mir geistig verwirrt, und auch mit seiner körperlichen Verfassung ist es nicht zum Besten bestellt.
    Mit matten Gesten überließ er uns sein Floß, das wir den Fluss hinab lenkten. Inzwischen glaube ich zu wissen, dass uns das Pulver des Greises die Schreckensbilder sehen ließ.
    Und doch ist es schwer zu glauben, denn manchmal sitzt nicht Alejandro mit uns auf dem Floß, sondern Yucahú. Dann grinst er mich an und leckt seine wulstigen Lippen.
    Und dann… das Ende
    Leserstory von Julia Henning
    Ich stehe da und höre das Dröhnen der Maschinen. Sie dürften nicht weit sein, womöglich auf der Brücke. Der Markt liegt hinter einer langgestreckten Biegung, wir können sie nicht einsehen. Auch wird keiner nachsehen, wir alle sind wie erstarrt. Ich stehe am Ende des Marktes, in Richtung des jenseitigen Landes, spiele mit den Süßigkeiten in meiner Tasche, die ich gegen
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