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261 - Ein falscher Engel

261 - Ein falscher Engel

Titel: 261 - Ein falscher Engel
Autoren: Christian Schwarz
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Wachen an ihr vorbei waren. Dann schlich sie weiter.
    Ninian kannte sich hier nicht aus. Aber das große Haus an der hinteren Burgmauer, vor dem Fackeln brannten und in dem einige Fenster erleuchtet waren, musste jenes sein, in dem sich die Bewohner aufhielten.
    Sie fand den Haupteingang verschlossen vor, strich um das Haus und entdeckte schließlich eine kleine offene Seitenpforte. Ninian drang ins Haus ein und fand sich im Küchentrakt wieder. Bevor sie sich umsehen konnte, hörte sie ein Geräusch. Jemand war hier!
    Ninian drückte sich hinter den großen Herd, der die Mitte der Küche einnahm.
    Ein älterer graubärtiger Mann stand vor einem Schrank und entnahm ihm einen Teller mit einem Bratenstück. Ein Kerzenleuchter stand neben ihm und verbreitete flackerndes Licht.
    Der kommt mir wie gerufen , dachte Ninian. Sie erhob sich lautlos und huschte mit vier, fünf schnellen Schritten um den Herd herum, einen ihrer Dolche in der Hand.
    Graubart besaß einen guten Instinkt. Noch bevor sie ihn erreichte, fuhr er herum, ein großes Küchenmesser, von dem das Bratenfett tropfte, in der Hand.
    Bevor er zustechen konnte, sauste Ninians Bein in die Höhe. Die Stiefelspitze traf das Handgelenk des Mannes und prellte ihm die Waffe aus den Fingern. Graubart ächzte erschreckt. Ninian ließ den Fuß oben, verlagerte geschickt ihr Gleichgewicht, winkelte das Knie an und stieß dem Alten die Sohle vor die Brust. Er taumelte nach hinten, ruderte mit den Armen und knallte in einige Regale. Deren Inhalt, hauptsächlich Töpfe und Tiegel, regneten auf ihn herab.
    Ninian setzte sich auf Graubarts Bauch und hielt ihm das Messer an die Kehle. Dann legte sie ihre Lippen an sein Ohr. »Wo schlafen die Burgbewohner, alter Mann? Wo finde ich die rothaarige Frau?«
    »Du suchst Myrial?«, entfuhr es ihm. Dann biss er sich auf die Lippen. »Das sage ich dir niemals!«
    Ninian traute dem Alten keinen Widerstand mehr zu – und wurde überrascht, als der sich plötzlich aufbäumte und sie beinahe abwarf.
    Seine Faust traf ihr Handgelenk. Sie konnte das Messer nicht mehr festhalten; es flog durch den Raum und klirrte auf die Fliesen.
    Ninian reagierte, wie sie es jahrelang gelernt hatte und ohne zu überlegen. Mit einer fließenden Bewegung zog sie mit der Linken eine dicke lange Nadel aus einem schmalen Futteral, das sie in ihr Oberteil eingenäht hatte, und rammte sie routiniert in die weiche Stelle zwischen seinem Ohransatz und Kiefergelenk. Von dort drang der Stahl direkt ins Gehirn und tötete den Alten auf der Stelle. Lautlos sackte er zusammen.
    Ninian erhob sich und stieß ihn an. Er kippte zur Seite und blieb liegen. Ohne Regung musterte sie die Leiche. Sie hatte zwar nicht vorgehabt, noch andere zu töten als die Rothaarige, aber niemand durfte ihr auf dem Weg zu ihrem Glück in die Quere kommen.
    Schließlich handelte sie im Auftrag ihres Aynjels.
    O ja, sie hatte schnell gelernt, zwischen den Zeilen seiner Worte zu lesen und diese richtig zu deuten.
    »Ich bin nicht dein Aynjel«, hatte er gesagt. Und: »Ich kann mich nicht um dich kümmern, Ninian.« Natürlich nicht, denn er war noch der Rothaarigen – Myrial – verpflichtet! Erst wenn sie tot war, würde er sich um Ninian kümmern können.
    Mit seinen Worten hatte er ihr eine neue und hoffentlich letzte Prüfung auferlegt. Erst wenn sie Myrial beseitigt hatte, die all die Jahre nur der Platzhalter für sie selbst gewesen war, woran die gleiche Haarfarbe nicht den geringsten Zweifel ließ, würde Rulfan für alle Zeiten ihr Aynjel sein.
    Ninian begann die weiteren Räume zu durchsuchen. Sie befand sich noch im Erdgeschoss, als plötzlich schrille Schreie laut wurden.
    Gleich darauf gingen Türen. Dann kam ein Trupp Menschen, mit ihrem Aynjel an der Spitze, die Treppen herunter gestürmt. Ninian drückte sich in den Schatten einer Rüstung und sah Rulfan und die anderen im Küchentrakt verschwinden.
    Sie hatten die Leiche vorzeitig entdeckt. Ninian wartete ab, was jetzt weiter geschah.
    Bald darauf herrschte helle Aufregung in der Burg. Ein junger Bursche holte die Bewohner zusammen und trieb sie alle in ein Zimmer.
    Dann erschien Rulfan, jetzt schwer bewaffnet und in Begleitung der beiden Wachen vom Hof, und verschwand mit ihnen ebenfalls in dem Zimmer.
    Ninian seufzte lautlos. Ihr Aynjel machte es ihr nicht leicht, bei Wudan nicht. Musste sie denn erst alle anderen Burgbewohner töten, um an die Rothaarige zu gelangen, die jetzt mitten unter ihnen war. Wollte Rulfan so ihre
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