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261 - Ein falscher Engel

261 - Ein falscher Engel

Titel: 261 - Ein falscher Engel
Autoren: Christian Schwarz
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Pellams Familie und die anderen Bediensteten wohnten.
    Rulfan stürmte die Treppe hinab, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Im ruhig brennenden Licht einer Öllampe sah er Ayrin taumeln, sich an einer Wand festhalten. Sie wimmerte. Sofort war er bei ihr, während weitere Zimmertüren aufflogen und Menschen auf den Gang traten.
    »Ayrin, was ist denn?«, fragte Rulfan und stützte die Frau. Fünf ihrer Familienmitglieder bildeten einen Halbkreis um die beiden.
    »Pellam«, wimmerte Ayrin und krallte sich in Rulfans Oberarm.
    »Mein Pellam, er… er ist tot.«
    »Was?« Rulfan zeigte sich genauso schockiert wie die anderen, er handelte nur sehr viel schneller. »Wo ist er?«
    »In… in der Küche. Blut, überall Blut. Ich bin ihm nachgegangen, er kam so lange nicht wieder.«
    Ayrin drückte ihr Gesicht an Rulfans Brust. Sanft löste er sich von ihr. »Myrial, kümmere dich bitte um sie«, bat er. Die junge Frau nickte. Mit Tränen in den Augen führte sie ihre Mutter ins nächste Zimmer, während Rulfan an der Spitze der anderen hinunter in den Küchentrakt rannte.
    Pellam lag in Seitenlage verkrümmt auf dem Boden, inmitten von Töpfen und ausgelaufener Brabeelensoße. Sie ließ sich kaum von der riesigen Blutlache, die sich unter seinem Kopf gebildet hatte, unterscheiden. Als Rulfan den Verwalter auf den Rücken drehte, starrten gebrochene Augen aus einem grotesk verzerrten Gesicht an die Decke. Clyro und Alla, seine Töchter, begannen laut zu weinen und sich die Haare zu raufen, während Anges mit versteinertem Gesicht auf seinen toten Vater starrte.
    »Ist er gestürzt?«, presste der junge Mann zwischen den Lippen hervor.
    »Ich weiß es nicht«, murmelte Rulfan und sah sich den Kopf der Leiche an. Pellam konnte noch nicht lange tot sein, sein Körper war noch warm. Die Augen des Albinos wurden plötzlich groß. Er hatte die Wunde lokalisiert, aus der das ganze Blut geflossen war. Rulfan hatte eine Platzwunde mit einem Bruch erwartet. Stattdessen sah er ein kleines Loch hinter Pellams rechtem Ohr.
    »Ninian«, flüsterte er und sein Magen war plötzlich ein einziger Klumpen. Geschmeidig kam er hoch. »Anges, du sorgst dafür, dass sich sofort alle Burgbewohner im Großen Saal versammeln«, befahl er. »Die Verrückte ist in der Burg. Sie ist hochgefährlich. Niemand darf sich mehr alleine bewegen, hörst du, niemand.«
    Anges starrte ihn an.
    »Hörst du nicht?«, brüllte Rulfan. »Alle in den Großen Saal. Sofort!«
    »Ich helfe dir«, sagte Alla. »Komm, Bruder.«
    Die Kinder Pellams eilten hinauf in die Wohnräume. Rulfan spurtete in seine eigenen zurück. Mit zum Schlag erhobenem Schwert drehte er sich in den Raum, gewärtig, einen Angriff abwehren zu müssen. Aber da war niemand. Erleichtert atmete er durch. Dann nahm er den Driller, weitere Waffen und eine Taschenlampe aus Jeds Beständen an sich.
    ***
    Früher am Abend
    Auf dem Markt in Stirling hatte sich Ninian neu ausgerüstet, nachdem Rulfan sie weggeschickt hatte. Dann kehrte sie nach Canduly Castle zurück. Es war die kälteste Winternacht seit langem, als die Kriegerin im weißen Mantel geduckt zur Burg hinauf huschte. Das Risiko, entdeckt zu werden, war nicht allzu groß. Sie hatte die beiden Wachen lange beobachtet; sie kamen nur jede halbe Stunde hier vorbei, ansonsten wärmten sie sich wohl irgendwo auf.
    Ninian erreichte die Burgmauer und drückte sich an den Stein. Es herrschte eine fast unnatürliche Stille unter dem funkelnden Sternenzelt. Irgendwo in der Ferne heulte klagend ein Lupa. Die Kriegerin rieb ihre Hände, die sie mit Handschuhen aus schwarzem Gejagudoo-Pelz wärmte, aneinander. Dann holte sie ein langes Seil mit Widerhaken aus ihrem Tornister, trat zwei Schritte zurück, ließ den Haken um die rechte Hand wirbeln und warf ihn hoch.
    Beim dritten Versuch verhakte er sich irgendwo auf den Zinnen.
    Ninian zog ein paar Mal am Seil und hangelte sich geschickt die Burgmauer empor. Keuchend ging sie für einen Moment in die Hocke. Dann zog sie das Seil hoch, packte es wieder ein und huschte zum nächsten Treppenabgang, der mit einem Holzdach überdeckt war. Gerade als sie den weitläufigen Burghof betrat, hörte sie die Wachen um die nächste Ecke kommen.
    Viel zu früh! Vermutlich hatte es einen Wachwechsel gegeben. Die beiden Männer, mit Lanzen und Schwertern bewaffnet, schienen ziemlich sorglos zu sein, denn sie redeten laut und achteten nicht auf ihre Umgebung. Ninian drückte sich in eine dunkle Ecke und wartete, bis die
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