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257 - Die Spur der Schatten

257 - Die Spur der Schatten

Titel: 257 - Die Spur der Schatten
Autoren: Jo Zybell
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Burg. Ihre jüngste Tochter Ayrin und deren Familie hatten sie die ganze Zeit von ihrem Waldhaus aus versorgt, das nur drei Wegstunden entfernt am Bergflüsschen lag.
    Ayrin selbst begleitete Rulfan, Matt Drax, Aruula und Nimuee zu ihrer Mutter. Sie hauste in einem unbenutzten Pferdestall auf der Rückseite der Burg. Die Männer und Frauen trafen sie auf einer Holzbank sitzend an. Ihr jüngster Enkel - Myrials dreizehnjähriger Bruder Turner - las ihr aus einem zerfledderten Buch vor. Die weißhaarige Greisin war klein und zierlich wie ihre Tochter und ihre Enkelin Myrial. Mit einer Geste bedeutete sie dem Jungen, seine Lesung zu unterbrechen, als Ayrin mit Rulfan und den Gästen vor sie trat.
    »Ich grüße dich, Gyrolla«, sagte Rulfan. »Möge Wudan dich segnen.«
    »Und die guten Geister des Waldes und der Burg mögen dich segnen, mein Sohn«, erwiderte die Greisin.
    Gyrolla war Anfang achtzig. Im Umland bis tief in den Süden und Osten Schottlands hinein hatte sie einen guten Ruf als Seherin und Heilerin; manche freilich hielten sie auch für eine Hexe, die mit den Dämonen im Bund stand. Jed Stuart hatte ihr einst Wohnrecht in der Burg zugestanden; Rulfan hatte sie praktisch mit dem Gebäude übernommen.
    »Ich grüße die schöne Nimuee«, fuhr Gyrolla fort, »und auch Aruula und Maddrax.« Sie nickte in deren Richtung, als könne sie sie sehen. »Euretwegen habe ich darum gebeten, mich aufzusuchen. Ihr brecht morgen zu eurer Reise auf.«
    Matthew stutzte. War das eine Frage gewesen? Es hatte wie eine Feststellung geklungen. Hatte Rulfan ihr davon erzählt? Aber wie hätte er wissen können, dass er, Matt, heute verschlafen und die Abreise deshalb auf morgen verschieben würde? »Das ist richtig«, antwortete er. »Wir wollen nach Irland.« Er ignorierte Aruulas Seitenblick, wohl wissend, dass sie ihren Aufenthalt hier gern noch verlängert hätte.
    Gyrolla nickte. »Ich hatte einen Traum heute Nacht, von dem ich glaube, dass er eure Reise betrifft.«
    Matt fröstelte. Von Visionen und düsteren Vorahnungen hatte er genug. »Hoffentlich ein guter Traum«, sagte er.
    Gyrolla wiegte den Kopf. »Ich kann es nicht einschätzen, aber ich wollte, dass du davon weißt. Eine blonde Frau und ein kleines Mädchen kamen darin vor. Du wolltest beide in deine Arme schließen. Ich erkannte dich erst, als die Frau deinen Namen in fremder Zunge aussprach. Dann… sind die beiden verschwunden. Die Frau zerfiel zu Staub, das Kind löste sich in Nebelschwaden auf, und du bliebst allein zurück.«
    Das Frösteln in Matt verstärkte sich. Was hatte dieses Traumbild zu bedeuten? Sofern es überhaupt etwas bedeutete. Er wechselte einen Blick mit Aruula, die nachdenklich aussah. Konnte sie die Vision einordnen?
    »Was…«, begann er, aber Gyrolla hob die Arme.
    »Mehr kann ich nicht sagen«, unterbrach sie ihn, »und ich will dir auch keine falsche Deutung geben. Geht jetzt.« Zum Abschied hob die Greisin beide Arme und segnete die Männer und Frauen. Als die sich schon zehn Schritte entfernt hatten und der junge Turner Anstalten machte, weiter aus dem alten Buch vorzulesen, rief sie auf einmal: »Was du dir vorgenommen hast, tue schnell und ohne Zögern! Sonst könnte es zu spät sein!«
    Wie vom Donner gerührt blieben alle stehen und fuhren herum. Sie starrten die alte Gyrolla an, und jeder fühlte sich angesprochen, das sah Matt Drax den Mienen der anderen an. Aber keiner wagte nachzufragen, und Gyrolla selbst tat, als hätte sie nichts gesagt. Sie lauschte schon wieder den Worten ihres halbwüchsigen Vorlesers.
    Eine schweigsame Nachdenklichkeit herrschte in der kleinen Gruppe, während die Freunde über den Burghof zum Hauptgebäude gingen, wo das Mittagsmahl aufgetragen war. Auch während des Essens vermied jeder der Anwesenden, auf Gyrollas Traum und ihre seltsame Warnung zu sprechen zu kommen. Stattdessen drehten sich die Gespräche um Belangloses wie das Wetter oder die Renovierung von Rulfans Burg.
    Es war eine regelrechte Erlösung, als einer der vier Begleitreiter den Speisesaal betrat und meldete, alles sei zum Aufbruch nach Stuart Castle bereit. Nimuee wandte sich zum Abschied mit aufmunternden Worten an Matt und Aruula: »Arfaar hat mir einmal gesagt, dass die Zukunft nicht geschrieben ist. Die Zeit ist in stetem Fluss, und wohin man treibt, kann man weder in Karten lesen, noch aus Träumen deuten. Ich bin davon überzeugt, dass ihr wohlbehalten und zufrieden zurückkehrt.«
    Sie dankten Nimuee und wünschten auch
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