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257 - Die Spur der Schatten

257 - Die Spur der Schatten

Titel: 257 - Die Spur der Schatten
Autoren: Jo Zybell
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meiner Familie. Die idyllische Umgebung Berlins tröstete mich damals. Und dein Vater tröstete mich.
    Zunächst hielt ich ihn für einen harten, gefühllosen Burschen, der nur gut gebaut und attraktiv war und sonst nicht viel zu bieten hatte. Doch als ich ihn näher kennen lernte, merkte ich schnell, wie klug und feinfühlig er war, wie viele Gedanken er sich machte und wie sehr er das Leben und die Menschen liebte. Wir verbrachten viel Zeit miteinander, er, die Jungens des Geschwaders und ich. Mein Gott, was waren das für schöne Abende im »Zwiebelfisch«, unserer Stammkneipe!
    Ob ich mich damals in ihn verliebte, willst du jetzt sicher wissen, meine kleine Ann. Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht mehr. Er war ja damals noch verheiratet. Manchmal ist man sich über seine eigenen Gefühle nicht im Klaren, weißt du? Manchmal kennt man sie nicht einmal - oder will sie nicht kennen. Aber das wirst du auch noch erleben.
    Dein Vater Matt stammte aus Riverside, Kalifornien. Ich glaube, er hatte Europäische Geschichte und Deutsch in New York studiert. In der Luftwaffenbasis galt er als einer der besten Piloten. Er war übrigens Commander. Doch was spielt das alles jetzt noch für eine Rolle? All das war einmal…
    Zwei Möwen fliegen gerade über mich hinweg. Schon gestern Abend sah ich einen dieser großen, mutierten Meeresvögel. Die Mündung des Severn und die Bucht von Bristol können nicht mehr allzu weit sein. Da, Pieroo kehrt zurück! Ein Tier, das mich an einen Hasen erinnert, hängt an seinem Speer. Und du räkelst dich auch schon, mein geliebtes Kind, gleich wirst du aufwachen.
    ***
    18. Oktober 2521
    »Dein Diener, dein Knecht, für immer…!« Alle drei auf einmal begannen zu plappern. Fletscher trat einen Schritt zurück, ließ sie reden, hörte aufmerksam zu. »Sieger ist Boss, Verlierer ist Knecht!«, rief einer. »Unser Gesetz, unser Gesetz«, beteuerte der zweite, und der dritte erklärte: »Sind nun Knechte von Feuerspeermann!«
    Sie redeten und redeten, und einer versuchte den anderen zu übertönen. Nach und nach begriff Fletscher, was sie ihm sagen wollten: Im Stamm dieser Waldleute war es offensichtlich üblich, dass ein Besiegter der Sklave des Siegers wurde. Nur so schien es den Besiegten möglich, die Schmach der Niederlage zu tilgen. Und nichts anderes boten sie ihm an: Sie wollten seine Diener sein, wenn er sie am Leben ließ.
    »Ruhe!«, schrie Robin Fletscher, als ihm das Geplapper zu viel wurde. Die wilden Jäger verstummten. »Ich bin nicht taub, ihr Schwachköpfe!« Er zog den Rotz hoch und spuckte aus. »Also gut, ich werde darüber nachdenken!«
    Er wandte sich ab und stapfte scheinbar nachdenklich zur Grube mit dem Buggy und dem toten Buck. »Nimm mich, nimm mich!«, riefen sie hinter ihm her.
    Vor der Grube blieb Fletscher stehen und betrachtete die Leiche seines Gefährten hinter dem Plexiglas des Cockpits. Als würde er schlafen, so friedlich hing der tote Sergeant im Fahrersitz.
    »Sie scheinen es ernst zu meinen, Georgieboy«, murmelte Robin Fletscher. »Was soll ich jetzt machen? Wenn ich den ersten totschlage, merken die anderen, dass die LP-Gewehre hin sind. Ist doch klar, oder? Und dann?« Er rieb sich den Stoppelbart. »Allein bin ich aufgeschmissen. Weiß nicht mal den Weg nach London, der Navigationsrechner funktioniert ja auch nicht mehr. Vielleicht nützen mir drei dieser Schwachköpfe ja mehr als einer, was meinst du? Immerhin scheinen sie sich auszukennen hier in den Wäldern von Wales.«
    So stand er eine Zeitlang, grübelte und dachte laut. Irgendwann fällte er eine Entscheidung. Als er wusste, was er wollte, ging er zurück zu seinen Gefangenen.
    »Also hört zu, ihr Hosenscheißer.« Die Wilden duckten sich ängstlich. »Ich bin Humanist, falls ihr wisst, was das ist. Ihr habt zwar den Tod verdient, denn ihr habt meinen schönen Wagen kaputt gemacht und meinen Kumpel getötet. Doch zu euerm Glück bringt ein Humanist wie ich nicht einfach so jemanden um, ist das klar? Schon gar nicht Naturmenschen von eurem Schlag. Kurz und gut: Ich hab's mir überlegt, ihr kriegt alle drei eine Chance.« So sprach Robin Fletscher zu den Waldleuten, gegen die er in Wahrheit keine Chance hatte. Und dann fügte er in feierlichem Tonfall hinzu. »Ich nehme also euer Angebot an und akzeptiere euch ab sofort als meine Knechte. Und jetzt steht auf, bewegt eure Ärsche und führt mich nach London!«
    Ihre bärtigen Mienen hellten sich auf, einem liefen sogar Tränen der Erleichterung
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