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257 - Die Spur der Schatten

257 - Die Spur der Schatten

Titel: 257 - Die Spur der Schatten
Autoren: Jo Zybell
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schon seit Monaten in den Ohren mit der Frage, wann du endlich ein Geschwisterchen bekommst. Ich glaube, lange müsst ihr beide euch nicht mehr gedulden.
    Robin Fletscher lebt übrigens ganz in der Nähe. Nach dem Winter vor drei Jahren fanden Hirten ihn halb tot und mit hohem Fieber am Dorfrand; sein Immunserum war verbraucht. Die Frauen des Dorfes pflegten ihn. Irgendwie brachten sie ihn durch. Er kommt selten ins Dorf, lebt in einer Höhle in den Klippen zwei oder drei Meilen südlich von Corkaich. Wenn er doch einmal auf den Weiden oder zwischen den Hütten auftaucht, pflegt er einen weiten Bogen um unser Haus zu machen.
    ***
    12. Dezember 2525
    Matt blätterte die weiteren Seiten durch, bis zum Ende des Buches. Dort stieß er auf eine Zeichnung.
    Jenny war gewiss keine Künstlerin gewesen, doch das Portrait war ihr gut gelungen. Matt zweifelte nicht daran, dass das Bild seine Tochter darstellte.
    Nun wusste er endlich, wie Ann heute aussah. Er schlug das Buch zu, stand auf, legte es zurück auf den Tisch. »Ann…« Er flüsterte den Namen seiner Tochter.
    Hier im Haus war sie nicht.
    Leise Hoffnung regte sich in ihm. War es Ann gelungen, sich vor den Schatten zu verstecken? War sie nach deren Angriff geflohen? Oder - und diese Möglichkeit war leider wahrscheinlicher - hatte sie sich woanders im Dorf aufgehalten, bei Spielkameraden vielleicht? Er musste sich Gewissheit verschaffen.
    Matt stürzte aus dem Haus und begann erneut zu rufen: »Ann! Ann, bist du hier?« Der Mann aus der Vergangenheit rannte zu den letzten drei Häusern, stürmte durch die Zimmer und Ställe, und als er dort nicht fündig wurde, begann er die Suche von vorn. Diesmal starrte er jedem der Kinder in die versteinerten Gesichter, verglich sie mit Anns Bildnis. Keines von ihnen ähnelte seiner Tochter.
    War sie also doch entkommen?
    Erschöpft ließ sich Matt auf einer Bank nieder. »O Gott, Ann, wo bist du nur…?«
    Der Hund, der ihn bei seiner Suche begleitet hatte und nun traurig winselnd neben ihm auf den Hinterläufen hockte, schlug plötzlich an. Matt blickte auf - da war eine Bewegung am Dorfrand hinter der Weidemauer! Der Schemen einer auffallend großen Gestalt stand dort!
    Matt sprang auf und rannte los. Die Gestalt floh, doch Matt schwang sich über die Mauer, holte sie ein, warf sich auf sie, hielt sie fest.
    Es war ein Mann, ein großer, vollkommen verwahrloster, kahlköpfiger Kerl. Er stank, war schmutzig und trug einen langen Bart, in dem Dreck und Speisereste klebten.
    Aber er lebte!
    »Wer sind Sie?«, fuhr Matt Drax ihn an.
    »Lass mich, lass mich«, stammelte der Mann.
    »Ihren Namen!« Matt Drax packte ihn am Kragen und schüttelte ihn.
    »Lass mich… mein schwarzer Liebling… lass mich doch…«
    »Verflucht, wenn du mir nicht deinen Namen…!« Der Hirtenhund sprang kläffend um Matt und den verwahrlosten Kerl herum. Matt blieben die Worte im Halse stecken, denn plötzlich erkannte er unter all dem Dreck die Kleidung des Mannes: eine Uniform! Eine Art Kampfanzug! In den Bunkern der Communities trugen sie derartige Anzüge. Sein Blick fiel auf die Brusttasche - kaum konnte man den Namen noch lesen: Major Robin Fletscher.
    Matt erinnerte sich; Jenny hatte ihn in ihrem Tagebucheintrag erwähnt. Der Typ lebte in einer Höhle ein paar Kilometer entfernt. »Was ist hier geschehen, Fletscher?« Matt beugte sich über den Fremden. »Sprechen Sie, bitte…«
    »Meine Göttin… mein schwarzer Liebling… lass mich, lass mich…!« Kreatürliche Angst verzerrte die bärtigen Züge des bedauernswerten Mannes.
    »Reißen Sie sich zusammen, Fletscher!«
    »Jenny… grausame Jenny… Scheißbarbar…«
    »Sie kennen Jennifer Jensen?« Matt packte ihn beim Brustteil seines Kampfanzuges. »Kennen Sie auch ihre Tochter? Haben Sie Jennys Tochter Ann gesehen? So reden Sie doch, Fletscher!«
    »Vier Jahre warte ich… warte ich auf meine Göttin…« Fletscher redete wie betäubt, deutete nach Süden zur Küste. »Im Wald, in der Höhle… seit vier Jahren bete ich zu Gott, doch sie will mich nicht, will nur Pieroo… Scheißbarbar, der Teufel soll ihn holen!« Er kicherte. »Ach nein… er hat ihn ja geholt! Gestern Nacht!«
    Matt musste sich zwingen, den ausgemergelten Techno nicht durchzuschütteln. »Was ist gestern Nacht passiert, Fletscher? Haben Sie es gesehen?«
    »Der Teufel hat ihn geholt, den Scheißbarbar…« Er faselte wie im Fieber - oder unter Schock. »Schatten… Schatten kamen…« Er deutete nach Osten zum Strand.
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