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25 Stunden

25 Stunden

Titel: 25 Stunden
Autoren: David Benioff
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den Blick zur Decke richtet und sich dann zu einem knappen zustimmenden Nicken herablässt, in seltenen Fällen sogar zu einem leisen: »Ja, da ist etwas dran. Interessant.« Ein solcherNachtrag zur eigenen Wortmeldung hat den jungen Jakob immer in helle Aufregung versetzt, und er hat sich den Satz dann meistens aufgeschrieben und mit einem Stern für besondere Brillanz versehen.
    Himmel, was für eine Pflaume, denkt er jetzt und taxiert sein Spiegelbild hinter den ordentlich aufgereihten Flaschen, sein schmales, spitzes Gesicht dort zwischen den Whiskey- Etiketten. Sein Gesichtsausdruck, stellt er unerfreut fest, läuft auf nervöse Unruhe hinaus. Ich seh aus wie ein Frettchen, denkt er, ein vorpubertäres Frettchen mit einer Yankees-Mütze auf dem Kopf. Er zieht die Nase kraus und zeigt die Zähne. Ein Nagetier, eindeutig.
    »Sind Frettchen Nagetiere?«, fragt er.
    »Ob Frettchen Nagetiere sind? Wie sind wir denn jetzt vom Juni zu Frettchen gekommen?«
    »Findest du, dass ich wie ein Frettchen aussehe?«
    LoBianco sieht Jakob prüfend ins Gesicht und nickt. »Ein bisschen.«
    »Ein bisschen wie ein Frettchen. Toll. Dankeschön.« Jakob beugt sich über den Tresen und zieht ein rotes Plastikschwert aus dem Glas mit Cocktail-Spießen. »Also, D'Annunzio«, sagt er und bohrt sich nachdenklich mit dem Schwert im Daumen. »Was hältst du von ihr?«
    LoBianco schmunzelt. »Was hältst du denn von ihr, Jakob?«
    »Weißt du was? Ich glaube wirklich, dass wir eines Tages - also in ferner Zukunft, natürlich — rumsitzen und sagen werden: ›Ich hatte die Mary D'Annunzio in meiner Englisch- Klasse.‹«
    LoBianco schweigt für einen Moment, rollt Eiswürfel auf seiner Zunge herum. Er zerkaut sie und leckt sich die Lippen. »Weißt du, was ein Mann nie fragen darf, wenn er Reizwäsche kaufen geht?«
    »Nein, was denn?«
    »Gibt's das auch in Kindergrößen?«
    Tief in Jakobs Bauch verkrampft sich etwas. »Was soll das denn heißen?«»Überhaupt nichts. War bloß ein Witz.«
    »Was soll daran denn witzig sein?«
    LoBianco zückt das eigene Cocktail-Schwert und fuchtelt drohend damit vor Jakobs Gesicht herum. »Habe ich Eure Ehre verletzt? Verlangt Ihr Genugtuung? Ha? Sollen wir uns duellieren?«
    »Da läuft nichts zwischen Mary D'Annunzio und mir.«
    LoBianco hört gar nicht zu. Er sticht Jakob ins Bein, und das Schwert zerbricht.
    »Autsch! Das hat wehgetan, Mann!«
    »Krieg dich ein. Noch einen Wodka, bitte!«, ruft LoBianco dem Barmann zu. »Und ein alkoholfreies Bier für unseren Freund mit dem mädchenhaften Teint.«
    »Ich blute«, sagt Jakob und untersucht das winzige Loch in seinem Hosenbein.
    »Ja, Donnerwetter. Trink dein Bier und krieg dich ein.« LoBianco starrt sein zerbrochenes Schwert an und seufzt. »Wir haben alle unsere Probleme, weißt du. Jeder Einzelne«, fügt er unheilvoll hinzu.
    »So wird's wohl sein«, grummelt Jakob. Jetzt fühlt er sich schuldig wegen seines Selbstmitleids. Morgen früh kommt Monty ins Gefängnis; Jakob versucht sich das vorzustellen. Ein Richter in einer schwarzen Robe verkündet den Urteilsspruch, und zack, sind sieben Lebensjahre hin.
    »War heute zum Beispiel nicht meine große Besprechung mit Deering?«
    Jakob sieht auf. »War heute nicht deine große Besprechung mit Deering?«
    LoBianco schmunzelt. »Heute war meine große Besprechung mit Deering. Und weißt du, was er zu mir gesagt hat?« LoBianco wartet, wirft einen Blick auf Jakob, der in Gedanken schon wieder woanders ist. »Rate mal.«
    Jakob senkt den Kopf auf den Tresen und kommt wieder hoch, eine Papierserviette vor den Lippen. Er atmet aus, und die Serviette flattert zu Boden.
    »Was denn?«
    »Er hat gesagt, wenn ich meine Trümpfe richtig ausgespielt hätte, dann hätte ich Fachbereichsleiter werden können. Meine bescheidene Person. Stell dir vor. Habe meine wahre Berufung verpasst. Diese geballte Macht, dieser Berg von Verantwortung. Ich hätte der Leiter des Fachbereichs Englisch werden können - ›wenn nur meine bösen Träume nicht wären‹.«
    Jakob hebt die Hand. »Macbeth?«
    »Falsch«, sagt LoBianco. »Und dann kommt er wieder mit seiner kompletten Philosophie-Vorlesung, die ich mir jetzt seit neunzehn Jahren anhören darf, von Sokrates bis William James. Er besitzt die Fähigkeit, voller Autorität über Themen zu reden, von denen er absolut nichts versteht.« LoBianco trinkt von seinem Wodka. »Das bewundere ich. Aber seine anderen Qualitäten sind weniger einnehmend.«
    »Diese Geschichte läuft
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