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226 - Das Schädeldorf

226 - Das Schädeldorf

Titel: 226 - Das Schädeldorf
Autoren: Mia Zorn
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hatte, saßen sie schweigend nebeneinander. Sevgil’im bedrängte ihn nicht mehr. Sie wusste, dass ihm niemand den Bruch des Kodex vergeben konnte.
    Nachdem Lann ihr versprochen hatte, die getöteten Hydriten dem Meer zu übergeben, verabschiedeten sie sich. Noch lange nachdem sich die Flutkammer mit Wasser gefüllt und das Tor zum Meer sich geöffnet hatte, um die Transportqualle dem Ozean zu übergeben, saß Lann Than weinend in der Schleusenkammer. Seine Finger umklammerten den Blitzstab, den Sevgil’im ihm zum Abschied geschenkt hatte, und er versuchte verzweifelt seinem Verstand einen Sinn für sein Weiterleben abzuringen.
    Auch wenn es für mich kein Zurück nach Karsi’signak gibt, so kann ich den Menschen im Tunnel ein guter Führer sein! Sie sind jetzt meine Heimat! Es sind gute Menschen! Sie haben aus Angst getötet. Ich werde ihnen beibringen, wie sie ohne Gewalt überleben können.
    Irgendwann stand er auf. Entschlossen wischte er sich die Tränen von den Wangen. Er ließ die Tür der Schleusenhalle auf gleiten und betrat die Kuppelkammer.
    Doch nach wenigen Schritten blieb er wie vom Donner gerührt stehen: Der Geruch gebratenen Fleisches schlug ihm entgegen. Fröhliche Stimmen hallten von den Steinwänden wider. Alle Bewohner des unterirdischen Systems schienen versammelt zu sein. Einige von ihnen entdeckten Lann. Schmatzend und kauend forderten sie ihn auf, sich zu ihnen zu setzen. »Komm, Kleiner Bruder, es ist genug für alle da!«
    Lann wurde übel. Fast besinnungslos vor Entsetzen wankte er auf die Speisenden zu. Und da lagen sie: die Köpfe der Hydriten. Die Tunnelbewohner hatten sie enthauptet, bevor sie sie schlachteten.
    Lann stützte sich gegen eine Felsenwand. Brechreiz würgte ihn und er übergab sich. »Monster«, flüsterte er, »Monster!« Dann wirbelte er herum und sprang zu der Stelle, an der die Überreste der Hydriten lagen. Er ging in die Knie und drückte die beiden Köpfe fast zärtlich an seine Brust. »Monster!« brüllte er. »Ihr seid Monster, Monster, Monster!« Sein Puls trommelte schmerzhaft gegen seine Schläfen. Sein Brustkorb fühlte sich an, als wäre er in Stacheldraht geschnürt. Seine Kehle brannte vom Schreien und Speichel tropfte aus seinem Mund. Plötzlich verstummte er.
    Lann konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Schreckensbilder seines vergangenen Lebens jagten durch seinen Verstand. Aufhören! Das muss aufhören!, dachte er. Aber die Bilderflut endete nicht, sondern zerfiel in verstümmelte Einzelteile. Darin küsste Thik Gieng Pol Pot und seine verstorbenen Kinder spielten Fußball mit den Köpfen der Hydriten.
    Aufhören! Lann Than warf die Köpfe von sich. Er riss die Augen weit auf, um sich in die Realität zurück zu holen. Aber auch das, was er vor sich sah, ergab keinen Sinn mehr: Graue Bestien mit gefletschten Zähnen krochen da auf ihn zu. Ihre hässlichen Stimmen schmerzten in seinen Ohren.
    »Aufhören!«, keuchte Lann. Er warf sich zu Boden, wand und krümmte sich. Hielt sich die Ohren und Augen zu. Doch vergeblich. In seiner Verzweiflung drosch er seinen Kopf auf den Boden. Solange, bis eine barmherzige Ohnmacht ihn umfing.
    ***
    September 2524, Mekong-Delta, Vietnam
    Matt und Aruula hatten die Nacht nach dem Sturm im Schädeldorf verbracht und noch lange mit Soon Than gesprochen. Matthew verriet ihm das Ziel ihrer Reise. Er war entschlossen, die unterirdischen Bunker zu untersuchen. Er wollte herausfinden, ob es sich bei den vermeintlichen Monstern wirklich um Hydriten handelte. Nach langem Reden willigte Soon Than endlich ein, sie zu begleiten und zu dem Eingang der Monsterbehausungen zu führen.
    Nach Sonnenaufgang machten sie sich mit ihm und einem halben Dutzend seiner Männer auf den Weg. Der nächtliche Sturm hatte im Wald heftig gewütet. Stellenweise gab es kein Weiterkommen mehr. Sie mussten die Boote über umgestürzte Bäume hieven und große Umwege in Kauf nehmen. Erst gegen Mittag erreichten sie ihren Ankerplatz. Erleichtert stellten sie fest, dass die Yacht nicht vom Sturm davon getrieben worden war: Im strahlenden Sonnenschein schaukelte sie friedlich auf dem Wasser.
    »Yann hat wirklich ganze Arbeit geleistet«, bemerkte Matt anerkennend und deutete auf die ausgebesserte Schiffswand.
    Aruula beachtete ihn nicht. Sie hatte nur Augen für die Schleifspuren am Strand. Sie führten in geschlängelter Linie bis zum bewachsenen Uferrand. Während Matt auf das Schiff kletterte, bückte sie sich nach den glänzenden Scherben neben
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