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216 - Jenseits von Raum und Zeit

216 - Jenseits von Raum und Zeit

Titel: 216 - Jenseits von Raum und Zeit
Autoren: Jo Zybell
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nach dem Kaiser um. »Vierzehn Grad einundfünfzig Minuten Süd und dreiundsiebzig Grad neunundvierzig Minuten Ost.«
    »Mon dieu!« Pilatre de Rozier ließ die zerknitterten Blätter mit den Zeichnungen sinken und richtete sich auf. »Dann nähern wir uns endlich der Gegend, durch die der Kurs des Zeitstrahls wandern soll, Maddrax?«
    »Ich hoffe es zumindest.« Irgendwo in der Gegend des fünfzehnten Breitengrades und des fünfundsiebzigsten Längengrades waren sie damals aus dem Zeitstrahl ausgetreten, den sie gerade – im Grunde zeitgleich – auf dem Mars betreten hatten: er und die beiden Marsianer Vogler und Clarice Braxton. [1]
    War das schon wieder zwei Jahre her? Nein, nicht ganz – anderthalb Jahre. Dennoch kam es Matt Drax vor, als wäre es gestern erst geschehen: Wie schnell die Zeit doch verging!
    Auf dem Mars, dem Ursprung des Raumzeitfeldes, war Matt Drax an dessen Neujustierung maßgeblich beteiligt gewesen – weil er als Einziger die Sprache und Schrift der Hydree beherrschte. Dennoch fiel es ihm schwer, die astrophysikalischen und mathematischen Grundlagen dieses technischen Wunderwerks vollständig zu durchschauen. Wirklich sicher war er nur in zwei Punkten: Der Zeitstrahl endete auf der Erde grundsätzlich nur über Wasser und niemals über festem Grund, und das Tunnelfeld war zeitlich auf etwa sechs Wochen in die Zukunft justiert. Ansonsten wäre es Wahnsinn gewesen zu versuchen, es nochmals zu durchqueren, um Pilatre de Roziers Leben um weitere fünfzig Jahre zu verlängern. Fünfzig Jahre – so lange bestand der Tachyonenmantel, der sich im Zeitfeld um den Körper legte.
    Mit allen weiteren Überlegungen betrat Matt Drax bereits hypothetischen Boden. Seine Theorie ging so: Die Erde drehte sich unter dem Zielpunkt des Strahls hinweg, wobei er über die Wasserflächen langsamer hinwegtastete und dafür die Landmassen übersprang. Also musste er wenigstens ein Mal in vierundzwanzig Stunden am selben Punkt wieder auftauchen.
    Wirklich überzeugt war Matt davon nicht. Vielleicht sprang der Strahl im Verlauf einer Rotation oder im Laufe der Jahre ja auch von einem Punkt der irdischen Wasseroberfläche zum nächsten. Wie sonst sollte de Rozier damals auf Höhe des Ärmelkanals in den Strahl geraten sein? Oder lag das am Kometen »Christopher-Floyd«, der bei seinem Einschlag im Jahr 2012 die Erdachse verschoben hatte?
    Auch der Zeitsprung, den sie zurücklegen würden, war nicht zu berechnen. Damals hatte Matt mit seiner Fliegerstaffel den Strahl bei Mach 3 durchquert – und war um fünfhundertvier Jahre versetzt worden. Der Flugzeugträger U.S.S. HOPE (ehem. U.S.S. RANGER) , auf den Matt vor dreieinhalb Jahren getroffen war, hatte 2006 den Zeitstrahl unterquert, wegen seiner hoch aufragenden Bauweise mit den Decksaufbauten berührt und war vierhundertsechsundsechzig Jahre später wieder aufgetaucht. Und de Rozier war in einer Höhe von etwa dreihundert Metern aus seinem Ballon in das Tunnelfeld gestürzt – ein Sprung über sechshundertneunzig Jahre war die Folge gewesen.
    Doch damals war der Strahl für eine Reise durch seine gesamte Länge auf dreieinhalb Milliarden Erdjahre eingestellt gewesen. Jetzt konnten es bei einer zügigen Passage nur noch wenige Tage sein, allerhöchstens sechs Wochen.
    Nun, die folgenden Tage würden Gewissheit bringen. Vielleicht.
    »Dann sollten wir unseren Freund Yann morgen auf einen Stuhl vor das Fenster setzen.« Der Kaiser stand auf. »Nicht, dass er den Strahl noch übersieht.«
    Auf leisen Sohlen schlich er an Yann Haggard vorbei. Dessen Lippen bewegten sich und er murmelte halblaut vor sich hin. Matt wunderte sich, dass noch immer keiner seiner üblichen, orakelhaften Monologe eingesetzt hatte. Der Kaiser öffnete die Tür zum hinteren Teil der Roziere, wo sein Privatgemach untergebracht war. »Ich gehe mir ein wenig die Beine vertreten.« Er verließ das Bugabteil und schloss die Tür hinter sich.
    Müde grinsend zog Matt Drax die Brauen hoch. Die Beine vertreten war aus dem Mund des Kaisers ein Code für Pinkeln gehen. Offenbar hatte man in den vorrevolutionären Zeiten Frankreichs, aus denen es de Rozier in die Zukunft Afrikas verschlagen hatte, die elementarsten Dinge des menschlichen Daseins nur ungern beim Namen genannt.
    Matt stand auf und beugte sich über die Zeichnungen neben de Roziers Lager. Es waren Porträts, die er da so andächtig betrachtet hatte, Frauenporträts: die kaiserlichen Gattinnen, vermutete Matt Drax. Er betrachtete die
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