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216 - Jenseits von Raum und Zeit

216 - Jenseits von Raum und Zeit

Titel: 216 - Jenseits von Raum und Zeit
Autoren: Jo Zybell
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Wahrnehmung allmählich erlosch.
    Es ist vorbei, mein menschlicher Freund, dachte er sterbend. Es ist Zeit, Abschied zu nehmen…
    Nein, raunte es tief in seinem Schädel, du musst in den Strahl…!
    Gilam’esh stöhnte, sein Körper war ein Feuerbrand aus Schmerzen. Er trieb durch eine Maueröffnung aus dem Spiralgang hinaus und auf die untere Galerie. Die Haupthöhle rund um den Strahl war voller Ditrydree.
    Auf einmal erloschen die Lichter. Nur hinter den Balustraden erleuchtete das blaue, flimmernde Licht des Tunnelfeldes noch die Haupthöhle. Hunderte Gestalten drängten sich in seinem Licht, Tausende.
    Du musst es bis in den Zeitstrahl schaffen. Die Stimme in seinem Hirn gab keine Ruhe. Du musst ins Tunnelfeld, hörst du mich, Gilam’esh? Du musst…
    Der Tunnelfeldmeister fühlte, wie das menschliche Bewusstsein sich nach und nach aus seinen Hirnwindungen löste. Und er spürte, wie ihm sein eigenes Leben aus den Wunden strömte. Er zog sich über die Balustrade und sank dem Meeresgrund in der Haupthöhle entgegen. Aus den Augenwinkeln sah er den Blutschweif, den er hinter sich her zog.
    Ich danke dir für die gemeinsamen Jahre… Gilam’esh richtete seine Gedanken auf das schwindende Bewusstsein des Freundes, dessen Körper er nie gesehen hatte. Die Zeit des Abschieds war gekommen. Ich danke dir…
    Sein tödlich verletzter Körper sank. Niemand nahm ihn wahr, in panischer Flucht drängten die Ditrydree in das blaue Geflimmer. Bis hinauf zur Decke hingen sie in großen Trauben rund um das Tunnelfeld. Und es wurden immer weniger. Die Westmeerbarbaren hatten die Zugänge zur Anlage längst erobert.
    Mit dieser Gewissheit sank Gilam’esh auf den Fels. Seine Kraft war erschöpft. Zwanzig oder dreißig Längen entfernt flimmerte das Tunnelfeld. Ein paar Schwimmzüge nur, doch er wusste, dass er es nicht mehr bis dorthin schaffen würde.
    Ich danke dir… Zum letzten Mal wandte er sich an das schwindende, zweite Bewusstsein in der Dunkelheit seines Hirns. Dank für alles, was du… für das Volk der Hydree… und für mich… getan hast…
    Der Freund antwortete nicht mehr. Er war gegangen; zurück in die Zukunft, weit, weit weg.
    In einem letzten Aufbäumen gegen den Tod konzentrierte sich Gilam’esh auf sein eigenes, schon verglimmendes Bewusstsein und sammelte es zu einem letzten Kraftakt. War er nicht der Tunnelfeldmeister? War er nicht ein Geistwanderer? Beherrschte er nicht als Einziger seiner Generation die Kunst, durch Zeit und Raum zu wandern? O doch!
    Mit aller Macht stemmte er sich gegen die anschwellende Finsternis, gegen das Nichts. Mit aller Macht konzentrierte er sich auf den letzten winzigen Lichtpunkt in der Dunkelheit, die sein Bewusstsein zu verschlingen drohte. Und dann geschah es: Der Punkt im Nichts hörte erst auf zu schrumpfen… und begann dann wieder zu wachsen. Er wuchs und wuchs, und wurde ein Stern, eine Sonne, ein gleißendes Meer aus Licht. Dann zerriss etwas Unsichtbares – und Gilam’esh war frei. Seine Aura löste sich von seinem sterbenden Körper und schwebte zum Strahl.
    Durch die Menge der letzten Flüchtlinge hindurch glitt er in das blaue Geflimmer hinein.
    Vorbei war die Angst, vorbei das Chaos und der Kampf. Gilam’eshs Aura schwebte durch Raum und Zeit.
    ***
    Irgendwo über dem Indischen Ozean, 29. März 2524
    »Viel ist nicht mehr da.« Matt Drax schüttelte etwa ein Viertel des restlichen Pulvers auf den Löffel und reichte ihn dem Seher. Der steckte ihn sofort in den Mund, zog ihn wieder heraus, leckte gierig die letzten Spuren des Pulvers ab und griff dann zur Wasserflasche, die Matt ihm hinhielt. Er schloss das gesunde rechte Augen, legte den Kopf in den Nacken und trank.
    Das Stampfen der Dampfmaschine erfüllte die Gondel. Im Hintergrund hörte man das Brummen des Außenpropellers. Manchmal pfiff der Wind durch undichte Stellen der Fenster- und Lukenrahmen. Hin und wieder zischte ein Dampfventil.
    »Diese Kopfschmerzen…« Yann Haggard stellte die Wasserflasche neben sich ab und presste die Handballen gegen die Schläfen. »Diese verfluchten Kopfschmerzen…« Er lehnte sich gegen die Gondelwand neben der Brennzelle und verbarg das Gesicht zwischen den Knien. »Ich hasse sie…«
    Seit acht Tagen hockte er in seinen zerwühlten Decken neben der wärmenden Brennzelle der Dampfmaschine, seit dem Start an der Nordküste von Madagaskar. Seine Miene war angespannt, sein langes graues Haar meistens schweißnass, und wenn er nicht mehr oder weniger apathisch vor
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