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215 - Die Macht des Sehers

215 - Die Macht des Sehers

Titel: 215 - Die Macht des Sehers
Autoren: Jo Zybell
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was musstet Ihr denn hören?«
    De Rozier ging nicht auf die Unsicherheit in der kaiserlichen Anrede ein. »Der Hauptmann berichtet mir soeben, Sie hätten tote Rabenvögel gefunden, die mit dem Gruhgift infiziert waren?«
    »Das stimmt.« Ein kalter Schauer rieselte über Matts Rücken, als er an die toten Zombie-Vögel dachte. [6]
    Ihr widerwärtiges Bild stand ihm plötzlich drohend vor Augen: Ihr schmutziges, lichtes Gefieder, die schorfige, von Pusteln übersäte, fahle Haut darunter, und die von geronnenem Blut rötlichen Augen. »Es war im Südhang des Kilimand… des Kilmaaro auf dem Weg nach Kilmalie.«
    »Quel malheur!« Der Kaiser bekreuzigte sich. »Nicht auszudenken, was geschieh, wenn ein Schwarm solcher Bestien über eine meiner Wolkenstädte herfällt! Une Catastrophe! Ich muss sofort nach unserer Ankunft meine Ingenieure zu einer Sondersitzung zusammenrufen! Und auch Ihr, de Fouché, müsst daran teilnehmen. Welche Waffen werden wohl gegen einen Vogelschwarm die geeignetsten sein…?«
    »Verzeiht, Majestät«, sprach Matt Drax ihn an, als dem Redeschwall nachdenkliche Stille folgte. »Wie ich schon ausführte: Die Vögel waren verendet. Allesamt. Es ist kaum anzunehmen, dass sie einem Fressfeind zum Opfer fielen, also wird dieses Gruhgift sie erledigt haben. Und so weit ich sehen konnte, waren die Kadaver auch gänzlich unberührt von Insekten oder Aasfressern. Was wiederum bedeutet, dass zumindest diese Gefahr gebannt ist.«
    Der Kaiser sah ihn unsicher an. »Für uns alle und das ganze Reich bete ich darum, dass Ihr Euch nicht irrt, Monsieur.« Er erhob sich von seinem prächtig verzierten Leichtholzsessel und bedeutete gleichzeitig den anderen, sitzen zu bleiben. »Und nun habe ich ein Versprechen zu erfüllen. Monsieur Drax?« Er winkte Matt. »Kommt mit in meinen Privatraum. Ihr sollt nun erfahren, welches Schicksal mir widerfahren ist – seit meiner Ankunft in diesem Land und davor…«
    ***
    Madagaskar, Anfang März 2524
    Keetje lauschte an der Kajütentür. Beschwörend und klagend tönte die Stimme des Meisters. »Menschsein, wozu? Wandeln zwischen Nebelbänken, wozu? Um dann doch in den Abgrund zu stürzen…?«
    »Jetzt dreht er völlig ab«, murmelte sie bei sich selbst.
    Fieberhaft überlegte sie, wie sie Yann helfen könnte. Sie spähte durch das Schlüsselloch: Er schaukelte hin und her, raufte sich die Haare, schlug sich an die Brust, und wieder und wieder diese unbegreiflichen Worte!
    »… wozu noch atmen? Wozu leben? Wie Steine kauen ist es, am Leben zu sein, wie sich wälzen in Glasscherben, wie eine Leiche beschlafen…!«
    Das Mädchen erschauderte. »Zum Schaitan mit dir, verdammtes Ding im Kopf des Meisters!« Fluchend lief Keetje zur Treppe. Es gab nur ein Mittel, um Yann aus seinem Selbstmitleid und seiner Verzweiflung zu reißen – er brauchte etwas zu tun. Das Mädchen sprang die Treppe hinauf, stieß die Luke zum Außendeck auf und lief zum Bug des Hausbootes.
    Die Wartenden bei den Baobabs erhoben sich. Hoffnung huschte über die Mienen der Kranken. Menschen schoben sich aus ihren improvisierten Unterschlüpfen; deren Zahl hatte sich inzwischen verdoppelt.
    Etwa zweihundert Schritte entfernt, aus einem grauen Zelt, drangen Schmerzensschreie. Aus schmalen Augen spähte Keetje dorthin – und runzelte die Stirn. Es war das Zelt des Heilers, ohne Zweifel, und so viehisch, wie die Schreie aus seinem Inneren sich anhörten, war Yessus gerade dabei, dem Gelbhäutigen seinen Gallenstein aus dem abgemagerten Körper zu schneiden. Doch warum standen diese großen Kerle um das Zelt herum und glotzten herüber?
    Außer diesem Loykass und seinem Bruder Woyzakk zählte Keetje noch elf weitere Männer von ähnlich hünenhafter Statur. Und alle waren sie mit baumlangen Spießen, gewaltigen Äxten oder Armbrüsten bewaffnet. Hinter dem Zelt, etwas abseits, hatten sie ihre Dampfrouler geparkt. Sieben Maschinenwagen konnte das Mädchen erkennen.
    Keetje stieß ein verächtliches Zischen aus und wandte sich der Kundschaft zu. Zwei, drei Atemzüge lang wanderten ihre Blicke über die Menge der Wartenden. Ein paar hoben die Arme, um auf sich aufmerksam zu machen, andere liefen schon herbei und riefen laut: »Ich bin der Nächste!«
    »Wer der Nächste ist, bestimmt hier grundsätzlich nur eine!«, schnaubte Keetje. Sie deutete auf einen jungen Burschen, der wie steif gefroren auf einer Trage aus Brettern lag. Seine Begleiter sahen wohlhabend aus. »Der da ist der Nächste!« Sie winkte
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