Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
215 - Die Macht des Sehers

215 - Die Macht des Sehers

Titel: 215 - Die Macht des Sehers
Autoren: Jo Zybell
Vom Netzwerk:
die Männer zu sich, machte kehrt und stapfte zur Luke ins Unterdeck. Dort wartete sie und beobachtete, wie die beiden Begleiter des jungen Burschen die Trage mit dem Kranken über die zehn Stufen zum Heck hinauf schleppten. Keetje fuchtelte ungeduldig. »Beeilt euch ein bisschen!«, blaffte sie.
    Als die Leute bei ihr waren und sie die Luke öffnete, streifte ihr Blick den südlichen Horizont. Dort stieg eine Staubwolke auf und schien rasch anzuwachsen. »Hol’s der Schaitan«, murmelte sie. »Hört das denn gar nicht mehr auf?«
    Sie sprang die Treppe hinunter und winkte die Männer hinter sich her. An der Tür zu Yanns Kajüte lauschte sie.
    Drinnen schwafelte das Ding im Kopf des Meisters. »Ein Schiff wird kommen, ein Schiff wird die Nebelbänke durchstoßen und mich holen! Ein Schiff wird mich bringen ins heilige Nichts…«
    Kurz entschlossen klopfte sie und öffnete die Tür. »Arbeit, Meister Yann!« Aus seinem weit aufgerissenen rechten Auge starrte er sie an. Keetje trat beiseite und winkte die beiden Männer mit dem Kranken herein.
    »Bist du denn dem Wahnsinn verfallen?«, keuchte Yann Haggard und legte die Hände an die schmerzenden Schläfen.
    »Wie soll ich arbeiten auf der Schwelle des Todes?«
    »Still!« Den Zeigefinger auf den Lippen, huschte sie zu ihm.
    »Du vertreibst die Kundschaft, wenn du so redest«, flüsterte sie. »So schnell stirbt man nicht. Außerdem ist Arbeit das einzige Schmerzmittel, das dir im Moment zur Verfügung steht.«
    »Ich kann nicht…« Schon begann er wieder den Oberkörper hin und her zu wiegen.
    »Du kannst und du musst«, beharrte Keetje. Sie trat beiseite und gab so den Blick auf den Kranken frei.
    Die Fäuste an die Schläfen gepresst, musterte Yann den jungen Burschen. Der sah ihn erwartungsvoll und mit schmerzverzerrter Miene an. Meister Yann stöhnte leise und begann schließlich zu seufzen und du die Lippen zu bewegen.
    »Bläulich flimmernde Energie strömt aus deinem Becken durch die Mitte deines Rumpfes und staut sich hinter deinem Brustbein«, murmelte Yann. »Und sie strömt aus deinem Schädel durch deinen Hals und durch die Mitte deiner Brust und staut sich zu einer violetten Blase hinter deinem Brustbein.«
    »Was sollen wir denn jetzt tun mit ihm?«, fragte einer seiner Begleiter.
    »Eine Knorpelscheibe ist ihm in Höhe des Brustbeins zwischen zwei Wirbeln seiner Wirbelsäule heraus gesprungen«, erklärte Yann mit weinerlicher Stimme. »Die drückt auf einen Nerv. Das tut weh, ist aber nichts gegen meine Kopfschmerzen.«
    »Und jetzt?«, drängte der andere Begleiter.
    »Wenn ihr Geld genug habt, bringt ihn zum Heiler«, krächzte Yann. »Der wird ihm helfen. Könnt ihr’s nicht bezahlen, hängt ihn an den Füßen auf, packt ihn an den Armen und zieht so lange, bis die Knorpelscheibe zurück zwischen die Wirbel gerutscht ist! Vorher soll er ein heißes Bad nehmen.«
    »Woran merken wir denn, dass dies geschehen ist?«
    »Wenn er aufhört zu schreien.«
    Der Kranke fing lauthals an zu jammern. Yann hielt sich die Ohren zu. »Ruhe! Nicht jammern, mein Kopf zerspringt!«
    Die beiden Träger drückten Keetje zwei Silbermünzen in die Hand, packten die Trage und sahen zu, dass sie zurück aufs Außendeck kamen.
    Kaum waren sie hinter der äußeren Luke verschwunden, tauchten zwei schwarze Frauen auf der Treppe auf und stiegen hinab. Sie waren hoch gewachsen und muskulös. Hyänenfelle bedeckten ihre Körper notdürftig, und sie waren mit Kurzschwertern und Stachelkeulen aus Eisen bewaffnet.
    »Was fällt euch ein?«, fuhr Keetje sie an. Sie stand noch immer an der Tür zu Yanns Kajüte.
    »Wir suchen den Meister«, sagte eine der beiden Frauen.
    »Er ist krank.«
    »Wie kann es sein, dass einer, der Kranke heilt, selbst erkrankt?«, fragte die andere Frau. Sie machten nicht einmal Anstalten, auf Keetjes Antwort zu warten: Ohne ihr Gezeter zu beachten, schoben sie das Mädchen vor sich her und drangen in die Kajüte ein.
    Schaukelnd und seine großen Hände um den Kopf gelegt, blinzelte Yann Haggard zu ihnen. »Nicht so laut, ich beschwöre euch, nicht so laut…«
    »Bist du der berühmte Meister Yann Haggard?«, fragte eine der Frauen.
    »Lasst mich in Ruhe, ich flehe euch an…«
    »Der Meister ist krank, seht ihr das nicht?«, sagte Keetje.
    »Uns schickt die mächtige Kriegskönigin Chenna aus den Wäldern im Süden der Insel hierher«, fuhr die Kriegerin fort.
    »Bis dorthin ist dein Ruf vorgedrungen, Meister Haggard. Sie erweist dir die Ehre, dich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher