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214 - Der Mann aus der Vergangenheit

214 - Der Mann aus der Vergangenheit

Titel: 214 - Der Mann aus der Vergangenheit
Autoren: Michael M. Thurner
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willst? – Dann gib dir keine Mühe. Ich habe diese Worte zu oft in meinem langen Leben gehört. Zu oft, um ihnen noch irgendeinen Sinn beizumessen.«
    Lazefa schob sich wieder näher an ihn heran. Sie war groß gewachsen und blickte ihm beinahe auf selber Höhe in die Augen. Sie sagte: »Ich liebe dich, Pilâtre de Rozier. Aber du musst erkennen, dass auch du Fehler machen kannst. Und deiner besteht darin, jene, die dich schätzen, zu überlasten und zu ruinieren. Ich habe deine Getriebenheit als etwas von Ngaai Gegebenes hingenommen, und ich will dir nicht vorschreiben, wie du dein Leben führen sollst. Aber du musst akzeptieren, dass wir alle nicht mit deinem Tempo mithalten können.« Sie legte beide Hände vor ihre Brust. »Du erinnerst dich noch, als du mich das erste Mal sahst? Als du, der seltsame weiße Mann, als lambaa Wabos in unserem Dorf eingezogen bist? Als ich drei Jahre alt war und vor meiner Mutter davonlief, um dich aus der Nähe betrachten zu können?«
    De Rozier nickte.
    »Heute bin ich einundzwanzig Jahre alt. Eine erwachsene Frau, die dich wählte, obwohl die Männer vor meine Hütte Schlange standen und mich begehrten. Ich tat es, weil ich an dich glaubte.«
    »Ich verstehe noch immer nicht, worauf du hinaus willst.«
    »Achtzehn Jahre sind vergangen, ohne dass du jemals Ruhe fandest. Wabo und Nikombe sind an deiner Seite älter geworden. Ihr Haar wird grau und lichtet sich. Du hingegen siehst aus wie am Tag deiner Ankunft. Du hast, dem Willen Ngaais folgend, die Zeit besiegt. Vielleicht bist du ja auch wirklich ein gottähnliches Geschöpf, das uns gesandt wurde.« Sie deutete mit einem Finger auf ihn.
    »Wenn dem so ist, dann lass uns Menschen in Ruhe und verlange nicht, dass wir dich weiter unterstützen. Wenn du aber glaubst, einer von uns zu sein, dann hab Verständnis für uns und schenke uns die Ruhe, die wir benötigen.«
    Pilâtre de Rozier sah sie an, versuchte ihre Worte einzuschätzen.
    Achtzehn Jahre waren vergangen?
    Seltsam. Sie waren ihm wie ein paar Wochen oder Monate erschienen. Die Zeit hatte ihm nichts von seiner Vitalität und Energie wegnehmen können. Er fühlte sich so frisch wie ehedem.
    Das Bild Isabelles überlagerte sein Sehen. Es zeigte die alte Frau, die um ihr Gnadenbrot bettelte.
    Es konnte rasch gehen. Alter und Tod hielten stets dann ihre Ernte, wenn man am wenigsten damit rechnete.
    »Zu wenig Zeit«, murmelte und widmete sich wieder den neuen Linsen. »Zu wenig Zeit.« Er verdrängte Lazefa und Nikombe aus seinen Gedanken und kümmerte sich erneut um seine Arbeit.
    ***
    »Wo ist er?«, fragte de Rozier.
    »Er wartet am Versammlungsplatz auf dich.« Wabo, sein getreuester Begleiter, hielt ihn fest. »Du darfst es nicht tun. Es gibt sicherlich eine Lösung…«
    »Nein.« Pilâtre de Rozier riss sich los und machte sich auf den Weg. Vorbei an seinen Häusern. Seinen Dampfkammern. An seinen Gestängen und Gerüsten. An seinen Werkstätten, in denen gesägt, gehobelt, geschneidert, gedreht, geschmiedet, geschliffen, gebohrt, gemischt, gepresst wurde. Wo die Kraft der Dampfmaschinen zu einer ungeahnten Perfektion fand, wo die aus schwefliger Luft und Holzkohle gewonnene Kraft zu gewaltigem Nutzen fand.
    Er erblickte Nikombe. Er stand am anderen Ende des Platzes und stützte sich auf seine Waffe, eine einfache Holzstange.
    Pilâtre de Rozier trat näher. So nahe, dass er seinen Kontrahenten beinahe berührte. »Du hast mir Lazefa gestohlen«, sagte er. »Dafür wirst du bezahlen.«
    »Du selbst hast sie zurückgewiesen und aus deinem Herz verbannt. Du hast mich zurückgewiesen und aus deinem Herz verbannt. Weil du nicht aufhören konntest, immer weitermachen wolltest. Wir haben um deine Aufmerksamkeit gebeten und gebettelt, aber du hast uns nicht gesehen. Die Arbeit war wichtiger. Die Stadt war wichtiger. Der Fortschritt war wichtiger…«
    »Das sind also deine Ausreden? Deswegen stiehlst du einem Mann seine Frau und entehrst ihn?«
    »Ich habe sie dir nicht gestohlen, Pilâtre. Du selbst hast sie aus deinem Haus getrieben.«
    »Genug!«, brüllte de Rozier. Er zog seine Waffe blank und trat zwei Schritte zurück. Der Säbel, den er sich vor Jahren hatte anfertigen lassen, blitzte im Sonnenlicht. Er hieb zu. Unbeherrscht, zornig.
    Nikombe wich mit einem eleganten Seitwärtsschritt aus. Er schwang seinen Holzstab wie ein Florett, so rasch, dass man seine Bewegungen kaum erkennen konnte.
    De Rozier wusste um die Kampfstärke seines Gegners.
    Er selbst hatte ihm
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