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214 - Der Mann aus der Vergangenheit

214 - Der Mann aus der Vergangenheit

Titel: 214 - Der Mann aus der Vergangenheit
Autoren: Michael M. Thurner
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geraumer Zeit ließen die Ambassai die Netze hinab gleiten ins tiefe Wasser. So lange, bis jegliches Brummen endete und der nächste Fortpflanzungszyklus durchbrochen war.
    »Das waren die letzten in unserem Stammesgebiet«, sagte Wabo. Er lachte pausbäckig. Tränen standen in seinen Augenwinkeln. »Wir haben es geschafft.«
    »Ich habe es geschafft, mein Freund, ich…«
    12. Der Aufbau eines Reiches, und persönliche Niederlagen
    Die Siedlung blühte und gedieh. Die Zeit der Tsetses war vorbei. Brachliegende Felder wurden neu bestellt, alte Handelsbeziehungen zu benachbarten Stämmen erneuert, Friedensverhandlungen aus der glücklichen Position der Stärke geführt.
    Pilâtre de Rozier bot seine Dienste jedermann an, der ihn dafür bezahlen wollte. Immer mehr Häuptlinge und Schamanen aus der näheren und ferneren Umgebung nahmen die Reise auf sich, um ihn und sein wundersames Luftschiff, die ISABELLE, zu bewundern.
    Er verlangte nur geringe Gegenwerte für seine Arbeit.
    Er freute sich über Bücher oder Relikte als Bezahlung, Dinge, die auch von manch anderem Stamm gehortet worden waren, und er erinnerte seine Auftraggeber daran, dass er irgendwann einmal Gegenleistungen einfordern würde.
    Wenn Pilâtre de Rozier nicht jagte oder las oder Verbesserungen an seinem Luftschiff vornahm, dann machte er mit der ISABELLE Reisen, die ihn immer weiter weg von Wabos Heimatdorf führten. Er glitt in so geringer Höhe über dichte Wälder hinweg, dass der Bast des Transportkorbs über die grünen Blattspitzen strich. Er stieg so hoch, dass ihm die meisten Vögel nicht mehr folgen wollten und ihn die dünne Luft keuchen ließ. Seine Karten, die die Tendenzen der Luftströmungen festhielten, wurden immer präziser. Natürlich zeigten sie nur ungefähre Richtungen und Höhenverhältnisse, doch sie lehrten ihn, dass der Äther über dichtem Bewuchs sich anders verhielt als über Wasser, und dass gebirgige Teile des Landes wesentlich mehr Vorsicht erforderten als offene Ebenen. Er lernte und lernte und lernte…
    … um eines Tages zu beschließen, den nächsten Schritt in Angriff zu nehmen. Er würde das Land von hier oben verwalten. Und dazu bedurfte es einer Stadt und einer Struktur, die lediglich in der Nähe des Victoriasees gegeben war.
    »Was kannst du mir über die Vulkanketten am West-und Südwestufer erzählen?«, fragte er Nikombe, einen jungen Berater, der dem Volk der Ashti entstammte.
    »Es ist ein unruhiges Land dort«, antwortete der groß gewachsene Mann mit der prägnanten Adlernase. »Der Boden gibt nicht viel her für die Landwirtschaft. Er ist vergiftet von gelben und weißen Dämpfen…«
    »… Schwefel und Wasserdampf…«
    »… die durch Erdspalten hoch dringen. Der Kilmaaro, der höchste Berg des Gebirges, herrscht über alles. Mein Volk meint, dass Ngaai seinen Kegelschlund als Pfeifenkopf nutzt.«
    »Wir aber geben nicht viel auf Mythologie und Märchen, stimmt’s?«
    »N…nein.« Nikombe blickte beiseite, hinab ins Nichts unter der in mehr als dreitausend Meter Höhe schwebenden ISABELLE. Mit den Händen vollführte er hastig seltsame Rituale und verneigte sich drei Mal knapp in Richtung der Sonne.
    Es kümmerte Pilâtre de Rozier nicht weiter. In seinem Kopf arbeitete es. Ideen verdichteten sich, reizten zu weiterem Nachdenken, schufen Visionen der nahen und fernen Zukunft.
    Dieses Land unter ihm war wie Wachs, das er kneten und formen konnte, wie er wollte. Er hatte die Menschen lieb gewonnen, und er schätzte sie. Doch letztendlich waren sie auch nur weitere Bausteine. Material, das benutzt werden sollte und musste.
    »Ich sage dir, was ich machen werde, Nikombe: Ich bitte die Stammesräte um Erlaubnis, dieses angeblich so unnütze Land für meine eigenen Zwecke zu verwenden. Dann erinnere ich sie an die Versprechungen, die sie mir gegeben haben. Sie werden mir Mannskraft zur Verfügung stellen müssen. Und dann baue ich eine Stadt.«
    »Im Vulkanland?« Nikombe schüttelte ungläubig den Kopf. »Du musst verrückt sein!«
    »Nicht im Vulkanland, guter Freund, sondern darüber. Die Stadt wird schweben, so wie die ISABELLE schwebt. Hunderte Ambassai und Ashti werden dort Platz finden, und sie werden die unumschränkten Herrscher Afras sein.«
    ***
    Der Schlüssel zum Erfolg hieß James Watt. Der Schotte hatte sich erfolgreich um die Verbesserung der Dampfmaschinen von Thomas Newcomen bemüht. Dank mehrerer Erfindungen, die Pilâtre de Rozier während seiner Zeit in Paris mit großem Interesse
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