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214 - Der Mann aus der Vergangenheit

214 - Der Mann aus der Vergangenheit

Titel: 214 - Der Mann aus der Vergangenheit
Autoren: Michael M. Thurner
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Tricks und Kniffe beigebracht. Er kannte die Riposten, die Schrittfolgen, die Techniken. Er war darauf vorbereitet, und nur mühsam gebändigter Zorn wütete durch seinen Körper. Gegen diese Verteidigung gab es vorderhand kein Durchkommen. Er musst Nikombe in Körper und Geist ermüden und geduldig auf seine Chance warten.
    Minutenlang wogte der Kampf hin und her. De Roziers Arme und Beine schmerzten von mehreren Treffern, von der rechten Wange tropfte Blut. Nikombe ging es nicht besser. Auch er war von Schrammen gezeichnet.
    Und er keuchte, keuchte wie ein alter Mann.
    Er war ein alter Mann. Dem fünfzigsten Geburtstag näher als dem vierzigsten. De Rozier jedoch war jung.
    Jung geblieben. Für immer jung. Von irgendwelchen Göttern beschützt.
    Da war der Fehler Nikombes: Ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit. Ein Fehltritt über die Umrandung des Diskussionspodiums, ein Straucheln, eine allzu hastige Begegnung. Pilâtre de Rozier fintierte, ließ eine verzweifelte Abwärtsbewegung eines Gegners ins Leere gleiten, und stach dann zu.
    Er traf in Magenhöhe. Die Waffe glitt zwei Handbreiten tief in den Leib und zerschlitzte lebensnotwendige Organe.
    Nikombe sackte zu Boden, die Augen weit aufgerissen.
    Blut pulste aus seinem Leib, das Leben entwich ebenso rasch.
    »Es… hätte niemals so weit… kommen dürfen«, flüsterte der tödlich Verwundete. »Du hättest… auf uns… hören sollen.«
    Pilâtre de Rozier verstand nicht. Wollte nicht verstehen.
    Er starrte auf den ehemaligen Freund hinab, mit leerem Kopf und leerem Herzen, und wich nicht von seiner Seite, bis die Augen brachen. Dann wischte er die Klinge am Hemd des Toten ab und marschierte davon.
    Er machte sich an seine Arbeit.
    ***
    »Sie will dich jetzt sehen«, sagte eine Amme. »Aber sei bitte… vorsichtig.«
    Pilâtre de Rozier nickte. Betäubt, ungläubig, unendlich verzweifelt. Er trat durch die Vorhänge und ging mit leisen Schritten zum Lager der Frau.
    Seiner Frau.
    Sie sah fürchterlich aus. Gezeichnet von der Anstrengung der Geburt, zu Tode erschöpft. Und dennoch war sie eine Schönheit geblieben, die in sich ruhte. Ein wahrlich engelhaftes Geschöpf, viel zu gut für ihn.
    Ja. Das war es. Viel zu gut für ihn.
    »Du wirst auf ihn achten?«, fragte sie mit schwacher Stimme.
    »Von wem ist er?« De Rozier fand kaum die richtigen Worte. Ärger, Enttäuschung und verletzte Eitelkeit vermengten sich mit unendlicher Trauer und Verzweiflung.
    »Es tut nichts zur Sache«, sagte Lazefa bestimmt. »Du wirst für ihn sorgen.«
    »Ich… kann nicht, wenn ich nicht weiß…«
    »Ich weiß, dass du mich trotz allem liebst. Ich hinterlasse dir meinen Sohn, sodass du immer an mich denken wirst und musst. Jedes Mal, wenn du in seine Augen blickst, wirst du mich erkennen.« Lazefa hustete schwach. Die Ärztin tupfte ihr über die Stirn, die mit kaltem Schweiß bedeckt war. »Du wirst mich lieben, und du wirst mich verfluchen. Das ist mein Geschenk an dich. Es wird dich daran erinnern, was du verloren hast, und was du durch seine Existenz behalten wirst.«
    »Du darfst mich nicht alleine lassen. Nicht jetzt, nicht jetzt…«
    Sie streckte eine Hand aus und streichelte ihm mit unglaublicher Sanftmütigkeit eine Haarsträhne aus seinem Gesicht. »Es muss sein, Jean-François Pilâtre de Rozier aus Paris, Frankreich. Mein Tod soll dir eine Lehre sein, genau so wie die Existenz meines Kindes.«
    Die Hand fiel herab. Die Atmung setzte mit einem letzten, traurigen Seufzen aus.
    Lazefa war gestorben, und er verstand nicht, warum.
    »Sie hätte kämpfen können. Sie hätte es geschafft«, sagte die Ärztin und schloss seiner Frau die Augen. »Aber sie wollte nicht.«
    De Rozier stand auf. Keine Träne wollte kommen. Er war leer, war ein Nichts, in dem keine Regung eine Bedeutung hatte.
    »Aber dein Sohn lebt«, fuhr die Ärztin fort. »Er ist stark, und er strahlt etwas ganz Besonderes aus. Er wird dir die Hoffnung geben, die du jetzt sicherlich benötigst.«
    »Er soll Victorius heißen«, murmelte Pilâtre de Rozier.
    »Ein Name ist so gut wie der Andere. Bring ihn weg. Irgendwer soll sich um ihn kümmern. Ich will und kann ihn jetzt nicht sehen.«
    Victorius, der entweder sein oder Nikombes Sohn war.
    ***
    Es gab noch andere Frauen. Es gab so viele von ihnen.
    Dicke, dünne, hübsche, hässliche. Solche mit prallen Brüsten und solche mit langen schlanken Beinen.
    Er nahm sie alle. Wann, wo und wie es ihm beliebte.
    Die Frauen der Ambassai, der Ashtis, der Huutsis
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