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214 - Der Mann aus der Vergangenheit

214 - Der Mann aus der Vergangenheit

Titel: 214 - Der Mann aus der Vergangenheit
Autoren: Michael M. Thurner
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und der Ngaris waren erpicht darauf, von ihm begattet zu werden. Großer Stolz erfüllte sie, denn die hellere Hautfarbe, die die meisten der Bälger als sein Erbteil mitbekamen, machten sie gut erkennbar zu Kindern, die einen Anspruch auf einen Teil des Kaiserreichs von Afra erheben durften.
    De Rozier trieb es toll und bunt und wie von allen guten Geistern verlassen, um eines schönen Tages, vom schlechten Gewissen gepackt, an die Arbeit zurückzukehren und mit manischer Besessenheit am weiteren Ausbau seiner Herrschaft zu bauen. Warum dieser Gesinnungswechsel geschah? – Er wusste es nicht.
    Wollte es nicht wissen.
    Pilâtre de Rozier errichtete weitere Städte. Avignon, Toulose und Lamarre entstanden. Reims-à-l’Hauteur wurde zum größten Desaster der noch jungen Geschichte seines Reichs. Die Explosion, die Zerstörung und der Tod vieler hundert Bürger sorgte für einen weiteren Wandel, eine weitere Gewissenskrise.
    Erneut ließ er sich gehen. Er verlor sich in üblen, sinnlos erscheinenden Abenteuern, vernachlässigte einmal mehr seine Pflichten und konnte nur durch den stets treuen Wabo in die Wirklichkeit seines Lebens zurückgerissen werden.
    Frauen. Kinder. Luxus. Herrschaftliche Feste. Alkohol.
    Seltsame, nie zuvor geschmeckte Drogen. Ansätze von Wahn, von Größenwahn, von Persönlichkeitsstörungen und von Nervenschäden.
    Und niemals, niemals, niemals alterte er. Ein gnädiger – oder ein grausamer? – Gott hatte ihm das Antlitz und den Körper eines nimmermüden Dreißigjährigen geschenkt. Rings um ihn alterten Menschen. Sie starben, und sie verrotteten in ihren Gräbern, bis Wind und ungezügelter Pflanzenwuchs selbst die geringsten Spuren der Toten verschwinden ließen.
    Wabo wurde zum Gradmesser seiner persönlichen Unsterblichkeit. Er wandelte sich vom aufgeweckten Burschen zum alten Mann. Nur sein Verstand, der funktionierte noch wie ehedem und ließ ihn über Jahrzehnte hinweg die Position des Kriegsministers und damit seiner rechten Hand einnehmen.
    »Eigentlich bist du mein lambaa!«, beschwerte sich der Alte von Zeit zu Zeit, wenn es Pilâtre de Rozier gar zu arg trieb. »Mein Eigentum, mit dem ich machen kann, was ich will. Ich sollte dich züchtigen und dich an den Gliedern angekettet von der heißen Mittagssonne ausdörren lassen.«
    Manchmal besann sich der Kaiser dann seiner Pflichten, manchmal ließ er seinen Berater links liegen und fuhr dort fort, wo es ihm gerade beliebte.
    In einer pompösen Zeremonie hatte er sich hochoffiziell zum Kaiser seines Reiches rund um den Victoriasee ernannt. Er galt damit mehr, als Louis XVI.
    und seine bourbonischen Vorfahren jemals erreicht hatten.
    Kaiser von eigenen Gnaden war er nun. Ein unumschränkter, absoluter Herrscher, dessen Landesgrenzen im Westen von einer Seenkette, im Osten vom Ozean und im Norden von einer tödlichen Wüste gebildet wurden.
    Er träumte von Lazefa. Jahrelang. Jahrzehntelang. Sie wollte ihm nicht aus dem Sinn gehen. Ihr Sanftmut, ihre Großzügigkeit und ihre Gabe, seine Ruhelosigkeit im Zaum zu halten, fehlten ihm so sehr. Umso mehr, als er immer wieder seinem Erstgeborenen über den Weg lief.
    Victorius. Der Geistleser. Das Kind, das zum Knaben und schließlich zum Mann heranwuchs. Er war ihr so ähnlich, und es tat so weh, ihm zu begegnen. Er ragte wie ein Diamant zwischen Kohlestücken aus der fast zweihundertköpfigen Schar seiner Nachkommenschaft hervor. Nur allzu gerne hätte er ihn an seiner Seite gesehen. Als Berater. Als Freund. Als Sohn.
    Und dann wiederum…
    … hasste er Victorius abgrundtief. Denn er erinnerte Pilâtre de Rozier an den größten Fehler, den er jemals begangen hatte.
    ***
    In hellen Stunden entstanden die Gondelschiffe, und die Liste der fliegenden Städte wurde auf zwölf Namen vergrößert. Schulen öffneten die Pforten. Französisch und Englisch wurden gelehrt, um den Kindern landesweit einheitliche Sprachen zu schenken, die sie neben den diversen Stammesdialekten nutzen konnten. Neue, vom Kaiser eingeführte Bildungssysteme griffen. Jeandor-Münzen wurden geprägt, ein einheitliches Zahlungssystem etabliert. Die höfische Etikette zu erlernen, wurde zum Wunschtraum seiner jüngeren, ihm nacheifernden Untertanen.
    Expeditionen stießen in andere Teile der Welt vor, sammelten Wissen und Bücher und brachten Experten aus vielerlei Bereichen ins Kaiserreich, Dabei erfuhr de Rozier, dass große Teile der Menschheit auf unerklärliche Weise in den vergangenen Jahrhunderten verdummt
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