Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

2106 - Der weiße Tod

Titel: 2106 - Der weiße Tod
Autoren: Unbekannt
Vom Netzwerk:
das Ende ihres alten, vielleicht nicht sehr ruhmreichen, doch moralisch hoch stehenden Volkes.
    „Diese schrecklichen E'Valenter", seufzte Liktus Boi, nachdem er seinen Saugrüssel ausgefahren und damit Nährflüssigkeit aus einem hohen, schmalen Gefäß zu sich genommen hatte. „Wären sie nur niemals auf diese Welt gekommen..."
    Niemand antwortete ihm, wie immer. Der letzte Gelehrte war allein. Er hatte keine Schüler und besuchte nur alle paar Tage die Prinzessin in ihrem Palast, oder sie schickte nach ihm, um seine neuesten Deutungen der Bewegungen der Monde zu erfahren. Aber auch das hatte sie in der letzten Zeit aufgegeben. Sie konnte die schlimmen Vorhersagen nicht mehr verkraften.
    Liktus Bois Chitinpanzer hatte längst die ausgebleichte Färbung und die feinen Risse des Alters angenommen, genau wie sein Geruch. Bei den Jüngeren schimmerte der Panzer, aus dessen zwei Einschnürungen die sechs Gliedmaßen wuchsen, in glänzenderen Farben. Zwei Beinpaare zum Laufen, eines zum Handeln, so war es immer gewesen. Der Oberkörper Derer von Zineda war stets aufgerichtet, während der Hinterleib sich in der Horizontale befand. Am dreieckigen Kopf befanden sich zwei lange Fühler, die Facettenaugen und der normalerweise aufgerollte, dünne Rüssel. Die Bewohner des Planeten Zinet waren seit langer Zeit schon Safttrinker und Pflanzenesser. Scharfe Beißzangen an ihren Mündern schienen zu belegen, dass dies einmal anders gewesen war. Liktus Boi hatte früher einmal auch in dieser Richtung geforscht, aber das war vorbei, seitdem die E'Valenter sein Volk dezimierten.
    Das taten sie zwar schon seit vielen Generationen, als auch Boi noch gar nicht geboren war, aber erst in den letzten Jahren war es so schlimm geworden.
    Die schrecklichen E'Valenter des Reichs zwangen das Volk Derer von Zineda, in der Mine von Eyschant zu arbeiten. Nicht genug damit, auch die Versorgung der Minenarbeiter mit Wasser und Nahrungsmitteln musste von den Stadtbewohnern ohne eine Gegenleistung sichergestellt werden.
    „Sie rotten uns aus", sagte Liktus Boi vor sich hin. „Sie lassen unser Volk, unsere Jugend verbluten. Bald gibt es keine jungen, zeugungsfähigen Männer mehr..."
    Aber das Ende konnte noch schneller kommen. Würde die Arbeit in den Minen nicht befehlsgemäß geleistet, so drohten die Wächter seit Urzeiten an, musste das gesamte Volk Derer von Zineda für den Ungehorsam büßen.
    Und so schickte das Herrschergeschlecht seit Äonen immer wieder einen Teil der jungen Generation in die Mine. Diese Zineda wussten, dass der Gang in die Mine ihr letzter Gang war, denn die Arbeit war hart und führte unweigerlich nach einigen Jahren zum Tod. Doch die jungen Zineda, auf welche die Wahl fiel, opferten sich aus Treue zu ihrer Prinzessin.
    Seit einigen Jahren aber, das wusste Boi, forderten die Wächter des Reichs in immer kürzeren Intervallen neue Minenarbeiter an. Die Prinzessin und ihr Volk wussten nicht, welcher Umstand daran schuld war; was die Minenarbeiter, die sich für ihr Volk opferten, in immer kürzerer Zeit schwach werden und sterben ließ.
    Manche Stimmen im Palast tippten auf eine Krankheit, andere auf tödliche Willkür der Wächter, die ihre Arbeiter ums Leben brachten.
    „Und die Prinzessin schweigt", zischte der alte Gelehrte.
    Was sollte sie auch tun? Jeder Widerstand, jede Weigerung würde als Aufstand ausgelegt und bestraft werden...
    Was immer es auch sein mochte: Die Arbeiter starben, und wenn die Zahl der Opfer weiter stieg, würde vom Volk der Zineda bald nichts mehr übrig sein. Ihre Geburtenrate war viel zu gering. Sie waren ein fragiles, zartes Volk, keine Kämpfer und keine Minenarbeiter.
    Liktus Boi wischte sich über die Augen. Die Nacht war furchtbar schwül. Einmal nur hörte er das Schreien eines Vogels, und es klang kläglich. Gerade so, als wolle das heilige Tier das Schicksal Derer von Zineda betrauern.
    Wenn die Monde ihm wenigstens einmal ein Zeichen gegeben hätten, wie er sein unterdrücktes Volk hätte retten können - das Volk und die liebliche, traurige Prinzessin. Aber das taten sie nicht. Statt dessen verkündeten sie das drohende Ende.
    Der Gelehrte war kurz davor, sich in den Trost eines die Sinne berauschenden Extrakts zu begeben, da geschah das Unerwartete.
    Irgend jemand klopfte unten an die schwere Holztür des Turms der Weisen. Zum ersten Mal seit vielen Tagen.
     
    *
     
    Liktus Boi lief die Treppen nach unten hinab. Wer wollte zu ihm, dem letzten Bewohner des altehrwürdigen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher