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21 - Stille Wasser

21 - Stille Wasser

Titel: 21 - Stille Wasser
Autoren: Laura A. Gilman , Josepha Sherman
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hinter ihr ihren üblichen Gang nahmen, kniete sich Buffy vor den Stuhl, auf dem sich das Selkie zusammengekauert hatte.
    »Hallo, Kleines.«
    Keine Antwort, nur der starre Blick ihrer ernsten braunen Augen, der beinahe etwas Abschätziges besaß. Müssen Selkies eigentlich niemals blinzeln?, fragte sie sich.
    »Nicht sehr gesprächig, was?«, vernahm sie Oz’ Stimme, der neben sie getreten war.
    »Ihr beide müsstet eigentlich prima miteinander auskommen«, erwiderte Buffy, erhob sich wieder und überließ ihm das Feld. Okay, sie ist völlig harmlos, dachte sie. Was sollte so ein kleines Seehund-Mädchen auch schon groß anrichten? Seehunde fressen Fische, keine Menschen.
    »So sind wir, wir stillen Kleinen«, seufzte Oz.
    »Sie hat unterwegs nicht einen einzigen Laut von sich gegeben.« Willow, froh darüber, dass die Verantwortung nicht mehr allein auf ihren Schultern ruhte, schien sich ein wenig beruhigt zu haben. »Nicht einmal, als ich versucht habe, sie aufs Fahrrad zu hieven, um sie hierher zu bringen. Vielleicht kann sie überhaupt nicht sprechen, was meint ihr?«
    »So wie die kleine Meerjungfrau«, sagte Buffy zustimmend, »die ihre Stimme gegen ein paar schmucke Beine eingetauscht hat.«
    »Seehunde sind normalerweise ziemliche Plappermäuler«, klärte Giles sie auf. »Ich vermute, ihre Zurückhaltung hat ihren Grund eher darin, dass sie die Sprache der Menschen nicht versteht. Eine Fremde in einem fremden Land, sozusagen.«
    Gewohnheitsmäßig platzierte er die Brille auf seiner Nase, steuerte ein Regal mit riesigen Folianten an und begann mit seiner Recherche. »Glücklicherweise erfreuen sich Selkies in neueren Abhandlungen über Mythen und Legenden großer Beliebtheit, sodass einiges über sie zu finden sein wird. Unglücklicherweise –“
    »Das eigentliche Problem dürfte darin bestehen herauszufinden, was an den alten Legenden wahr ist und was nicht, stimmt’s?« Willow sah den Wächter an und seufzte. »Na ja, besser zu viele Informationen als gar keine.«
    »Auf jeden Fall mal ’ne nette Abwechslung«, pflichtete Xander ihr bei. »Vorausgesetzt, Sie haben nicht die Absicht, uns den ganzen Kram lesen zu lassen«, fügte er rasch hinzu. »Hiermit melde ich mich freiwillig als Donut-Boy.«
    Der Zeiger der Wanduhr sprang auf sieben Uhr fünfundvierzig und gellend rief das Klingelzeichen zur ersten Stunde, mit dem Erfolg, dass das kleine Selkie-Mädchen wie von einer Tarantel gebissen von ihrem Stuhl aufsprang, um Hals über Kopf das Weite zu suchen.
    »Nicht doch, Ariel«, sagte Oz in beschwichtigendem Tonfall und hielt sie mit sanftem Griff zurück. »Immer mit der Ruhe.«
    »Ariel?«, fragte Buffy verdutzt.
    »Ja«, erwiderte Oz ein wenig verlegen. »Hast du doch eben selbst gesagt. Die kleine Meerjungfrau. Die nicht sprechen konnte.«
    Willow strahlte. »Ja, genau. Echt passend.«
    »Echt passend«, schaltete sich Giles ein, »wäre es auch, wenn keiner von euch bereits so früh im Halbjahr zu spät zum Unterricht käme. Ihr habt doch jetzt Unterricht...?«
    »Französisch!«, stöhnte Buffy.
    Willows Augen weiteten sich. »Oh, Differentialrechnen! Äh, Giles, Sie kommen ohne uns klar?«
    Der Wächter hatte die Nase bereits wieder in eines seiner Bücher gesteckt. Geistesabwesend hob er zum Abschied die Hand. »Macht euch um mich keine Sorgen. Ich habe durchaus einige Erfahrung als... Babysitter.«

    Die erstaunliche Tatsache, dass in der Bibliothek ein waschechtes Selkie hockte, änderte nichts an dem allmorgendlichen Tohuwabohu, das kurz vor Unterrichtsbeginn in den Korridoren und Unterrichtsräumen der Sunnydale High herrschte. Schüler hasteten in ihre Klassen, setzten sich hin, sprangen wieder auf, hetzten in eine andere Klasse und schafften es manchmal sogar, sich zwischen all dem Hin- und Hergerenne noch zur Toilette durchzukämpfen.
    Buffy hatte gelernt, in diesem merkwürdigen Gesetzen folgenden Mikrokosmos in eine beinahe an Stumpfsinn grenzende Teilnahmslosigkeit abzugleiten. Wenn sie gerade einmal nicht damit beschäftigt war, die Welt vor dem Untergang zu bewahren, bot sich ihr hier die willkommene Gelegenheit, sich auf angenehme, ja geradezu erholsame Weise einfach dem trägen Strom der Zeit zu überlassen und für ein paar Stunden völlig abzuschalten.
    »Puh, könnte echt sein, dass ich die Klausur gepackt habe«, begann Buffy, während sie und Xander, der gemeinsam durchlittenen Folter des Geschichtsunterrichts entfliehend, den Gang hinuntereilten und nach Will und Oz
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