Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2030 - Chimaerenblut

2030 - Chimaerenblut

Titel: 2030 - Chimaerenblut
Autoren: Sue Twin , Mo Twin
Vom Netzwerk:
nie fertig.« Er verdiente sich mit dem Kurierjob seinen Unterhalt und finanzierte so sein Politik-Studium. Dieses Semester hatte er jedoch ausgesetzt, um mehr Zeit für die Aktivistengruppe zu haben. Seine Pläne: Zuerst Wilmershofen ausschalten, später das Studium beenden.
    »Du hast Glück. Kannst Pizzen ausfahren. Der Pizzatreff 111 sucht jemanden, der einspringt. Denen ist jemand krank geworden.«
    »Danke.« Leon nickte. Das vermasselte Wochenende war jetzt sowieso nicht mehr zu retten, dann konnte er auch arbeiten. Das würde ihn ablenken. Den Bericht könnte er am Sonntag schreiben.

     
    Er fuhr zu der genannten Adresse, vorbei an grauen Häuserzeilen und Straßen, in denen Rauch aus Mülltonnen schwelte und Banden herumlungerten und nur darauf warteten, jemanden auszurauben. Irgendwo hier musste früher die Grenze zwischen Ost- und Westberlin verlaufen sein. In der Sonnenallee zeigten die Pflastersteine noch mitten im Asphalt den ehemaligen Mauerverlauf. Leon hatte nur eine vage Vorstellung wie Berlin früher war, das meiste davon aus dem Kultfilm »Sonnenallee«, dessen x-te Wiederholung er sich im Fernsehen angeschaut hatte. Schließlich wohnte er direkt um die Ecke. Vierzig Jahre Mauerfall waren im letzten Jahr medienwirksam gefeiert worden. Ein friedlich protestierendes Volk hatte die Diktatur in die Knie gezwungen. Doch so einfach war das heute nicht mehr. Nichts verlief hier mehr friedlich. Es galt das Gesetz der Straße und des Stärkeren.
    Auf dem Land lag ein Fluch seit die Pandemie über Leben und Tod gerichtet und Kinder und Jugendliche wahllos in Starke und Schwache aufgeteilt hatte. In Menschen und in Chimären. Solche mit ungewöhnlichen Kräften und Fähigkeiten und jene, die elend und verkrüppelt dahinsiechten. Ohne finanzielle Zuwendungen, ohne Hoffnung, ohne irgendeine Entschädigung. Die Kassen waren leer, geplündert von skrupellosen Politikern, die der Pharmaindustrie in den Arsch krochen. Das war Leons Überzeugung, und deshalb hatte er sich bewusst gegen Jura entschieden. Seine Familie hatte nie recht bekommen. Weder als seine Schwester gestorben war, noch als er seine Eltern an die Virusgrippe verloren hatte. Mit Jura konnte man die Welt nicht verändern. Deshalb Politik. In den letzten Monaten aber kamen ihm die Argumente abhanden, Leon war sich nicht mehr sicher, ob er noch Lust hatte, sein Studium wirklich zu beenden. Ein Einzelner konnte den Mechanismen ja doch nichts entgegensetzen. Nur an der Arbeit der Aktivisten zweifelte er nie; da schlossen sich Chimären und Menschen zusammen, die ihre selbstlosen Ideale verteidigten und die Schuldigen ans Messer liefern wollten.
    Leon schluckte. Er hatte versagt.
    Josi...
    Das hätte nicht passieren dürfen.

     
    Drei Stunden später stand er unter der Dusche und spülte den Dreck der letzten Stunden herunter. Die Wunde an seiner Hand hatte sich entzündet.
    Ein messerscharfer Gruß vom aufgebogenen Maschendrahtzaun.
    Das Wasser brannte auf seiner Haut. Leon schloss die Augen und lehnte einen Moment an der Wand, während das Wasser über Gesicht und Körper lief. Seine Knochen schmerzten. Er fühlte sich fiebrig und war todmüde. Kein Wunder, die letzte Nacht hatte er kein Auge zugetan. Er schlang ein weißes Handtuch um die Hüften und stopfte die nassgeschwitzte Kleidung in die Waschmaschine. Im Vorbeigehen drückte er den Knopf. Es müsste auch ohne Waschpulver gehen. Er war einfach zu fertig, um sich damit zu befassen.
    Erschöpft ließ er sich aufs Bett fallen. Leons Brustkorb zierte ein Tribal -Tattoo, ein Maori-Symbol, das Stärke verhieß. Um den rechten Oberarm zog sich ein DNA-Strang wie eine bissige Schlange mit zwei Köpfen, symbolisierte sein zerrissenes Inneres, halb Mensch, halb Pferd, auch wenn es ihm äußerlich kaum anzusehen war.
    Leon blickte auf seinen Kommunikator, er hatte ihn in den letzten Stunden ausgeschaltet, jetzt tippte er mit dem rechten Zeigefinger aufs Display um sich einzuloggen. Drei Anrufe waren in Abwesenheit eingegangen.
    Josi.
    Seine Mähne stellte sich auf, er stöhnte. Wie ein Blitzlichtgewitter prasselten die Erinnerungen erneut auf ihn ein: Die Hühner, das fahle Licht, der Gestank, der andere Raum. Nur mit Mühe konnte er ein Würgen unterdrücken. Der widerliche Geruch von Eiter und Blut war so intensiv, er hatte das Gefühl, er klebte noch immer auf seiner Haut.
    Der NanoC brummte. Leon schaltete auf Laut. »Hallo?«
    »Leon, endlich. Wilmershofen zieht die Anzeige zurück.«
    »Warte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher