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20.000 Meilen unter den Meeren

20.000 Meilen unter den Meeren

Titel: 20.000 Meilen unter den Meeren
Autoren: Jules Verne
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verfiel von Tag zu Tag mehr, sein Gemüt wurde düster, umschattet, und ich fühlte, wie er litt, da auch mir das Heimweh zu schaffen machte. Wir waren sieben Monate ohne Nachricht von der Erde. Kapitän Nemo ließ sich immer seltener sehen, seine Stimmungswechsel, besonders sein Schweigen seit dem Kampf mit den Kraken, wirkten bedrückend. Ich begann plötzlich, unsere Fahrt mit anderen Augen zu sehen. Die Begeisterung des Beginns war erloschen. Man musste schon so flämisch-phlegmatisch sein wie Conseil, um diese Umstände mit Gleichmut zu ertragen. Conseil hätte sich, mit ein paar ordentlichen Kiemen versehen, widerspruchslos in das Reich der Fische eingegliedert.
    »Also?«, fragte Ned Land.
    »Also was?«, antwortete ich. »Sie wollen, dass ich Nemo frage, was er mit uns vorhat?«
    »Ja.«
    »Aber er weicht mir aus. Ich sehe ihn selten.«
    »Ein Grund mehr, ihn endlich zu stellen.«
    »Also gut. Ich werde ihn fragen.«
    »Wann?«
    »Wenn ich ihn …«
    »Monsieur, wollen Sie, dass ich selbst hingehe!?«
    »Nein, schon gut, ich werde ihn morgen …«
    »Heute.«
    »Bitte. Heute. Wie Sie wollen.«
    Aber er war schon verschwunden. Ich beschloss sofort, den Kapitän aufzusuchen, weil mir erledigte Sachen immer lieber sind als unerledigte. Ich ging in mein Zimmer und trat an die Verbindungstür. Nebenan hörte ich Nemo auf und ab gehen. Ich klopfte. Er antwortete nicht. Ich klopfte wieder und drückte die Klinke. Die Tür ging auf.
    Er saß jetzt am Tisch, arbeitete wieder. Offenbar hatte er mein Klopfen nicht gehört. Ich wollte diesmal eine Antwort haben und ich trat auf ihn zu. Er hob den Kopf, sah mich, runzelte die Stirn.
    »Was wollen Sie?«
    »Mit Ihnen reden.«
    »Ich bin beschäftigt, mein Herr, ich arbeite, falls Sie das nicht sehen. Warum gönnen Sie mir das Alleinsein nicht? Ich lasse Ihnen doch auch diese Freiheit.«
    »Ich habe Ihnen wichtige Dinge mitzuteilen«, sagte ich kühl.
    »Ah, haben Sie Entdeckungen gemacht, die ich noch nicht kenne?«, fragte er ironisch. »Hat Ihnen das Meer neue Geheimnisse offenbart? Hier, Monsieur Aronnax, Sie sollten mal dieses Manuskript lesen. Es ist in mehreren Sprachen geschrieben, darunter in der Ihren. Es enthält die Summe meiner unterseeischen Forschungen und es enthält auch eine kurze Biografie. Wenn es Gott gefällt, werden die Menschen all das kennenlernen, denn wer von uns auf der Nautilus überlebt, wird es in einem wasserdichten Kästchen dort dem Meer übergeben, wo wir uns gerade befinden. Und es wird landen, wo es landen wird.«
    Sein Name? Seine Geschichte? Sein Geheimnis enthüllt? Eines Tages …
    »Kapitän«, sagte ich, »ich finde Ihre Idee nicht gut. Ihre Erkenntnisse dürfen nicht verloren gehen, und das werden sie bei der primitiven Übermittlungsmethode. Wissen Sie, in welche Hände das Manuskript fällt? Sollten nicht lieber Sie oder einer Ihrer Gefährten …«
    »Niemals!«
    »Aber ich und meine Freunde sind bereit, dies Manuskript zu bewahren, wenn Sie uns die Freiheit geben.«
    »Die Freiheit!!!???«
    »Ja. Darüber wollte ich mit Ihnen reden. Wir leben jetzt sieben Monate an Bord der Nautilus und ich frage Sie, ob Sie uns ewig hierbehalten wollen.«
    »Monsieur Aronnax, die Antwort darauf ist heute dieselbe wie am ersten Tag: Wer die Nautilus betritt, verlässt sie nur tot.«
    »Also Sklaverei?«
    »Nennen Sie’s, wie Sie wollen.«
    »Gut. Aber ich sage Ihnen eines: Überall auf der Welt hat ein Sklave das Recht, um seine Freiheit zu kämpfen, und zwar mit allen Mitteln, die ihm dazu geeignet erscheinen.«
    »Na und? Wer nimmt Ihnen denn dieses Recht? Hab ich Sie jemals zu Treueschwüren aufgefordert?«
    Er sah mich mit verschränkten Armen an.
    »Monsieur«, sagte ich, »das ist das erste und das einzige Mal, dass wir über dieses Thema sprechen. Ich will Ihnen alles sagen. Es handelt sich hierbei nicht nur um mich. Für mich ist das Studium ein Halt, eine wirksame Ablenkung, eine Neigung, eine Leidenschaft, bei der ich alles andere vergessen kann. Mir macht es ebenso wenig aus wie Ihnen, wenn ich unbekannt bin, im Dunklen lebe, in der schwachen Hoffnung, dass eines fernen Tages die Zukunft von den Ereignissen meiner Arbeit Kenntnis erhält. Mit anderen Worten: Ich kann Sie bewundern – in gewissen Dingen, die Sie tun und die ich verstehe. Aber es gibt noch mehr Seiten Ihres Lebens und dort herrschen Verwirrungen und Geheimnisse, die meinen Gefährten und auch mir völlig fremd sind, mit denen wir niemals etwas zu schaffen haben
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