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20.000 Meilen unter den Meeren

20.000 Meilen unter den Meeren

Titel: 20.000 Meilen unter den Meeren
Autoren: Jules Verne
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können. Selbst wenn unser Herz für Sie schlug, wenn Ihre Leiden oder Ihre Tapferkeit uns bewegt haben, mussten wir unsere Sympathie im Zaum halten, um erst zu prüfen, was vom Freund und was vom Feinde kam. Alles, was Sie angeht, ist uns fremd, und das macht unsere Lage reichlich untragbar, auch für mich, unmöglich aber vor allem für Ned Land. Haben Sie sich schon mal überlegt, welche Rachegedanken die Freiheitsliebe in diesem Mann entzünden muss?«
    »Das ist mir völlig gleichgültig. Ich habe ihn nicht zu mir eingeladen. Ich halte ihn hier nicht fest, weil es mir etwa Vergnügen macht. Sie, Professor, können alles verstehen, selbst das Schweigen. Ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen. Und wenn Sie wieder mit diesem Thema anfangen, werde ich Ihnen gar nicht erst zuhören.«
    Als ich meinen Gefährten den Inhalt der Unterhaltung mitteilte, stand der Entschluss des Kanadiers fest: so rasch von Bord wie möglich. »Long Island!«, hieß die hoffungsvolle Parole.
    Aber am 13. Mai kam der Orkan zum Ausbruch, der sich die Tage zuvor durch turmartige Anhäufungen der Wolken, milchige Atmosphäre und starkes Absinken des Luftdrucks angekündigt hatte. Wir waren nur wenige Meilen von New York entfernt, als das Unwetter losbrach.
    Nemo hätte tauchen können, aber aus irgendwelchen Gründen blieb er an der Oberfläche, ja: Er stieg auf die Plattform hinauf. Ich folgte ihm, halb aus Bewunderung, halb aus Trotz. Gegen 15 Uhr ging der Wind bereits im Sturmschritt, mit 25 m/sec. Nemo band sich mit einer Leine, die er wie einen Gürtel um die Hüfte schlang, fest, ich tat desgleichen.
    Wolkenfetzen fegten über das entfesselte Meer und tauchten in die Fluten ein. Ich sah nur noch lang gezogene rußfarbige Wogen, die so dicht standen, dass sich ihre Spitzen nicht brachen; sie wurden immer höher, türmten sich gegenseitig hoch und warfen die Nautilus von einer Seite auf die andere, ließen das Fahrzeug stampfen und schwanken und wie einen Mast sich aufbäumen. Gegen 17 Uhr begann wie ein reißender Gebirgsbach Regen herabzustürzen, der Orkan brach mit 45 m/sec Geschwindigkeit los; so rasend legt er Häuser um an Land, schleudert Dachziegel fort, drückt eiserne Gatter ein und wirft 24-Pfünder-Kanonen um. Der Nautilus , der starken stählernen Spindel, konnte er nichts anhaben. Die Wogen stiegen bis 15 m hoch, mehr als 150 m lang, und der Orkan wurde zur Nacht noch stärker, das Barometer sank bis auf 710 mm. Im letzten Dämmerlicht erkannte ich undeutlich ein großes Schiff am Horizont und erkannte auch dessen Kampf mit dem Meer. Um 22 Uhr war der dunkle Himmel voller Feuerregen, Blitze zuckten herab, deren Glanz ich nicht ertrug, entsetzliche Donnergetöse füllten die Luft, die mir die Trommelfelle zu sprengen drohten, und darunter mischten sich das Heulen des Windes und das Tosen der See. Die Gischt unter dem ständig überspringenden Wind verwandelte sich in glitzernde, zuckende Feuertropfen und mich durchfuhr der Gedanke, dass Nemo hier draußen einen ausgefallenen Tod suche. Mit letzter Kraft kroch ich zur Luke und ins Innere zurück.
    Um Mitternacht kam der Kapitän nach. Ich hörte, wie sich die Wasserbehälter füllten; wir sanken. Noch in 20 m Tiefe wurde unser Schiff von den gewaltig bewegten Massen hin und her geworfen. Dann aber hatten wir 50 m Tiefe erreicht, und dort: welche Ruhe, welche tiefe, absolute Stille, welch ein Frieden. Wer hätte dort unten den Orkan auf der Oberfläche geglaubt?

28. Kapitel
    Der Sturm hatte uns weit nach Osten geworfen. Ned Land ließ sich jetzt ebenso wenig sehen wie der Kapitän. Nur Conseil und ich konnten noch miteinander reden. Der Kurs war jetzt wieder unsicher, grob nordostwärts, meist an der Oberfläche unter dichten Nebeln, manchmal in ziemlicher Tiefe. Diese Nebel sind für die Seefahrt furchtbar, unzählige Schiffe sind deswegen in diesen Breiten bereits gesunken. Der Grund des Meeres bot den Anblick eines ausgedehnten Trümmerplatzes, auf dem die ausrangierten Opfer des Wassers und der Stürme sich häuften, Mann und Maus, Schiff und Gerät, hauptsächlich Auswanderer, die angesichts Kap Race baden gingen, Solway, Isis, Paramatta, Canadian, Hungarian, Anglo-Saxon, Humboldt, United States , ach, ihr stolzen Schiffe, alle gescheitert, Arctic, Lyonnais, Président, Pacific, City of Glasgow , nach Zusammenstoß gesunken oder unerkannt entschwunden in die Tiefen, in den Totengrund!
    Am 15. Mai ließen wir die Neufundlandbank hinter uns. Am 17. Mai waren wir bereits 500
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