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1996 - Wenn Tazolen meutern

Titel: 1996 - Wenn Tazolen meutern
Autoren: Unbekannt
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Zorn! Lass es Nacht um mich werden, entziehe mir den wärmenden Schutz deiner Flügel! Setze mich nackt in der dunklen Kälte aus und lasse mich austrocknen! Ich bin es nicht wert, dein Diener zu sein!
    Randorus fand seinen Herrn im tiefen Gebet versunken vor dem Altar, wie so oft in letzter Zeit. Der Tazole machte sich Sorgen; Corr re Venth war meistens launisch, ein Grübler, doch so extrem wie jetzt war es noch nie gewesen - nicht einmal zu der Zeit, als Dro ga Dremm die Macht an sich gerissen hatte. Randorus war der persönliche Taktor des 630jährigen Scoctoren, verantwortlich für sein Wohlergehen. Es war eine ehrenvolle Aufgabe. Ein Taktor besaß zwar keine unmittelbaren Machtbefugnisse, bekleidete aber dennoch ein sehr hohes Amt und wusste über alle Dinge Bescheid. Selbstverständlich würde er dieses Wissen niemals ausnutzen. Wenn je ein Scoctore hinter einen solchen Vertrauensbruch käme, wäre der Tod durch das Würgeeisen die harmloseste Bestrafung. Da war es schon besser, sich unentbehrlich zu machen und dadurch weiteren Familienangehörigen gute Posten zu verschaffen, die den Wohlstand sicherten.
    Randorus stand schon sehr lange in Corr re Venths Diensten, er war ein treuer und zuverlässiger Taktor. Aus Dankbarkeit hatte er hin und wieder mit seinem Herrn sogar ein Elcoxol-Bad teilen dürfen; ein unglaubliches Privileg, das sein Leben bereits jetzt über das normale Maß hinaus verlängerte.
    Denn nicht jedem Tazolen stand dasselbe Elcoxol zu: je höher der Rang, desto intensiver und lebensverlängernder die Wirkung. Das gemeine Volk musste sich mit einem einfachen Zusatz begnügen, der gerade mal zwei-, höchstens dreihundert Jahre garantierte. Je schneller man die Leiter hinaufkletterte, umso größer waren die Chancen, uralt zu werden. Und jeder Tazole sehnte sich danach, da bisher die Unsterblichkeit vorenthalten worden war. Aber das würde sich ändern, sobald Gaintanu befreit war.
    Selbstverständlich würde es auch dann Unterschiede geben. Die Tazolen waren das auserwählte Volk, aber nicht jedem von ihnen stand die Unsterblichkeit zu. Hierfür musste man sich besonders bewähren. Randorus war der Ansicht, sich die Unsterblichkeit verdient zu haben. Und bis dahin würde er Corr keinen Schritt von der Seite weichen, auch wenn der sich in letzter Zeit nicht besonders beliebt gemacht hatte. Aber der Taktor kannte seinen Herrn; er wusste, dass Corr nicht so schnell aufgeben würde. Noch stand er nicht auf der Verliererseite. Der Taktor machte durch ein Räuspern auf seine Anwesenheit aufmerksam.
    Corr re Venth sah auf, erkannte Randorus und erhob sich. Die vielen Falten seines weiten dunklen, mit violetten Ornamenten bestickten Gewandes raschelten. Damit wollte Corr verbergen, dass er selbst für einen Tazolen außergewöhnlich dürr war. Er war 1,85 Meter groß und besaß einen vergleichsweise wenig ausladenden Hinterkopf; was wieder einmal bewies, dass ein mächtiger Schädel nicht alles war, um Scoctore werden zu können.
    Corr trug nur dann eine schmucklose Kappe, wenn er sein Schiff verließ und sie das APRE-Netz verdecken sollte. Ansonsten zeigte er gern seinen blanken Kopf, wie um damit Spöttern vorzuführen, dass er keineswegs ein R'chau, ein unedler Dummkopf war. Er war Scoctore und kommandierte ein 1000-Meter-Pfeilschiff, das er LINOR RU XION, „Xions Schwingen", getauft hatte. „Ich bitte um Verzeihung für die Störung, aber ich mache mir Sorgen", begann Randorus. Er war ein gutes Stück kleiner als Corr und kräftiger gebaut. Dies betonte er durch einen eng anliegenden, blaugrau schimmernden Anzug. „Mein guter Randorus, wenn du dir Sorgen machst, ist es ernst", versetzte der Scoctore. Sein Blick war noch düsterer verhangen als sonst. „Worum geht es?". „Um dich, Herr."
    „Um mich?"
    „Du ziehst dich häufig zurück, um zu beten. Ich fürchte um deine Gesundheit."
    „Meine geistige Gesundheit, meinst du wohl." Randorus schwieg dazu. Als lang jähriger Vertrauter durfte er sich zwar einiges herausnehmen, aber es gab Grenzen. Er Wusste nicht, was in seinem Herrn vorging.
    Corr gab sich zurückhaltend und nicht zu streng. Er nutzte seine Machtposition niemals tyrannisch aus und ergab sich nicht irgendwelchen Marotten wie so viele andere Scoctoren. Vor allem Dro ga Dremm war seit Anbeginn gefürchtet; häufig gab es in seinem persönlichen Betreuungsstab Besetzungswechsel, und die neuen Leute mussten grundsätzlich rekrutiert werden. Randorus hingegen hatte es nicht leicht,
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