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Der Hauch von Skandal (German Edition)

Der Hauch von Skandal (German Edition)

Titel: Der Hauch von Skandal (German Edition)
Autoren: Nicola Cornick
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1. Kapitel
    Begriffserklärung: Eine Strohwitwe ist eine Ehefrau, deren Ehemann nach zeitlich begrenzter Abwesenheit zu ihr zurückkehren wird, beispielsweise nach einer Reise. Das „Stroh“ bezieht sich dabei auf die Matratze, die mit Stroh gefüllt wurde. Die „Witwe“ bleibt also allein zurück auf Stroh/auf der Matratze. Dabei schwingt vielleicht mit, dass die verlassene Geliebte verärgert darüber ist, sich mit „Stroh“ begnügen zu müssen. Der Begriff wird mit einem „leicht maliziösen Unterton“ verwendet, eine interessante, etwas undurchsichtige Beschreibung.
    London, Mai 1811
    E r hatte sich verspätet. Um ganze achtzehn Monate.
    Alex Grant verharrte auf den Stufen zu Lady Joanna Wares Londoner Stadthaus in der Half Moon Street. Wenn er erwartet hatte, irgendein Anzeichen von Trauer zu entdecken, so wurde er jetzt gründlich enttäuscht. Es gab keine zugezogenen schwarzen Vorhänge vor den Fenstern, und das Vorhandensein eines großen silbernen Türklopfers verriet, dass Besucher durchaus willkommen waren. Wie es schien, hatte Lady Joanna kaum zwölf Monate, nachdem die Nachricht vom Tod ihres Gatten sie ereilt haben musste, die Trauerzeit beendet.
    Alex betätigte den silbernen Türklopfer, und die Haustür glitt lautlos auf. Ein in düsteres Schwarz gekleideter Butler stand vor ihm. Es war noch weit vor der schicklichen Zeit für einen Besuch. Dem Butler gelang es, diese Mitteilung – und seine Missbilligung darüber – durch ein kaum merkliches Hochziehen seiner Augenbrauen zum Ausdruck zu bringen.
    „Guten Morgen, Mylord. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“
    Mylord. Der Mann kannte ihn gar nicht, trotzdem hatte er seinen gesellschaftlichen Rang sofort mit einiger Exaktheit einordnen können. Beeindruckend. Nichts anderes hätte Alex von dem Butler einer so berühmten und umschwärmten Dame der gehobenen Gesellschaft wie Lady Joanna Ware erwartet. Die Begrüßung war auch nicht gerade ermutigend; eine stumme Warnung vielleicht, dass Lady Joanna für einen Vertreter seiner Klasse nicht zu sprechen war.
    „Ich möchte Lady Joanna meine Aufwartung machen.“
    Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Eigentlich verspürte er nicht das geringste Verlangen, Lady Joanna zu sehen. Allein das Gefühl, es seinem verstorbenen Kameraden schuldig zu sein, hatte ihn dazu bewegt, dessen Witwe aufzusuchen. Das Fehlen jeglichen Anzeichens von Trauer über den Verlust eines so herausragenden und geachteten Ehemanns wie David Ware verstimmte Alex zutiefst, und sein Wunsch, die Bekanntschaft mit Lady Joanna zu erneuern, wurde immer geringer.
    Der Butler verstand sein Werk zu gut, um ihn wie einen Händler draußen auf der Treppe stehen zu lassen. Er trat einen Schritt zurück und gab den Weg in die Eingangshalle frei, auch wenn sich auf seinen Zügen unverändert Zweifel widerspiegelten. Ein in schwarz-weißem Schachbrettmuster gehaltener Marmorfußboden erstreckte sich bis zu einer eleganten, geschwungenen Treppe. Zwei livrierte Diener – offenbar eineiige Zwillinge, wie Alex feststellte – waren wie Statuen rechts und links vor einer Tür postiert. Aus dem Zimmer hinter dieser Tür war eine erregte Frauenstimme zu vernehmen, die den erhabenen Eindruck aristokratischer Eleganz jäh zunichtemachte.
    „Cousin John! Erheben Sie sich bitte, und hören Sie auf, mich mit diesen lächerlichen Heiratsanträgen zu belästigen! Abgesehen davon, dass Sie mich langweilen, missbrauchen Sie meinen neuen Teppich. Ich habe ihn gekauft, damit man ihn bewundert; nicht, damit aufdringliche Verehrer auf ihm knien.“
    „Lady Joanna ist verlobt“, teilte der Butler Alex mit.
    „Ganz im Gegenteil“, widersprach Alex. „Sie hat soeben verkündet, das nicht zu sein.“ Er durchquerte die Halle, zog die Tür auf, ignorierte, wie der Butler entrüstet nach Luft schnappte, und erfreute sich an dem verblüfften Ausdruck auf den bisher maskenhaft attraktiven Gesichtern der Lakaien.
    Der Raum, den er betrat, war eine sonnendurchflutete, in frischem Gelb und Weiß gehaltene Bibliothek. Im Kamin brannte ein Feuer trotz der Wärme des Maimorgens. Ein kleiner, grauer flauschiger Hund, dessen Fell oben auf dem Kopf mit einer blauen Schleife zusammengebunden war, lag auf einem Läufer vor dem Kamin. Auf seine Art wirkte das Tier genauso hübsch wie die Lakaien. Es hob den Kopf und sah Alex aus braunen Augen abschätzend an. In der Luft hing der Duft von Lilien und Bienenwachs. Der gesamte Raum strahlte eine einladende Wärme aus.
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