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1992 Das Theunissen-Testament (SM)

1992 Das Theunissen-Testament (SM)

Titel: 1992 Das Theunissen-Testament (SM)
Autoren: Hinrich Matthiesen
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und glaub mir, das wird böse enden! Aber er war ja schon immer ein Querkopf.«
    Sie waren in den Pesel getreten. Es roch nach altem Holz, nach Rauch, nach Schinken, und für einen Moment schloß er die Augen, sog das anheimelnde Duftgemisch tief in sich hinein, atmete wieder aus und sagte: »Oh, Georgine, der Geruch meiner Kindheit!«
»Schnickschnack!« war ihre Antwort. »Du redest schonso verdreht wie dein Onkel!« Aber sie lächelte dabei. Sie setzten sich auf die Biedermeier-Stühle, die um den großen ovalen Tisch standen. »Was möchtest du essen?« »Danke, gar nichts.«
»Dann einen Genever!«
Er willigte ein, denn er wußte, wie gern sie sich den Wacholdertrunk genehmigte, und er wußte auch, daß sie es noch lieber tat, wenn jemand mithielt.
Sie schenkte ein, und dann stießen sie an.
» Auf uns Weert und sine Madami « Diesen Trinkspruch auf seine Großeltern brachte sie immer aus. Gesine und Maynhard Theunissen hatten Georgine vor Sechsundsechzig Jahren ins Haus geholt. Sie war damals die Lüttje Deern, neben der es noch die Grotdeern gab und zusätzlich die Binnerdeern, ein Hausmädchen nur für die Innenarbeiten. Mit ihren knapp fünfzehn Jahren mußte Georgine ein hübsches Kind gewesen sein, denn gleich nach ihrer Ankunft hatte der Großvater seine Söhne Peter und Claas in die Scheune beordert und dort gehörig ins Gebet genommen, um den Neuling vor unschicklichen Übergriffen zu schützen. Man erzählte sich in der Familie, daß Claas dieses väterliche Verbot wohl übergangen hatte, doch als Paul sie einmal ganz dreist danach fragte, war ihre Antwort: » Över sowatt snackt man nich! «
    »Wie viele Schiffe hat denn jetzt jeder, und wer liegt vorn?«
»Ach, Georgine!« Er strich über die kleine, welke Frauenhand. »Zwischenbilanzen sind uninteressant. Wenn ich zum Beispiel im Moment einen Dampfer mehr hab’, so weiß ich doch nicht, ob John vielleicht grad etwas ausbrütet, womit er mich in ein paar Monaten überrunden kann. Entscheidend ist, wie’s am Schluß aussieht.«
»Ihr solltet euch heimlich verbünden und nach den sechs Jahren gleichauf sein, so daß keiner den kürzeren zieht. Dann kann man ja die Hälften wieder zusammenkleistern, aber nicht so, daß einer das Ganze kriegt, sondern die Reederei hat in Zukunft eben zwei, die das Sagen haben.«
»Das hat Claas in seinem Testament verhindert.« Sie wollte nachschenken, aber er wehrte ab: »Du nimmst dir noch einen Schlaftrunk, und ich troll’ mich jetzt, möchte ein bißchen oben am Fenster sitzen, und auf jeden Fall leg’ ich mich früh hin. In der sauberen Landluft schläft es sich so gut.«
»Wann willst du dein Frühstück haben?«
»Das weiß ich noch nicht. Sobald ich wach bin, melde ich mich bei dir in der Küche.« Er stand auf und nahm seine Reisetasche in die Hand.
»Frisch bezogen ist dein Bett ja, aber vielleicht etwas klamm. Warum hast du nicht angerufen? Ich hätte die Decke und das Kissen in die Sonne gehängt.«
»Heute mittag wußte ich noch gar nicht, daß ich hierherfahren würde.«
Er ging nach oben und packte seine Tasche aus, verteilte die Sachen auf Schrank, Kommode und Badezimmer. Dann setzte er sich an das geöffnete Giebelfenster und sah hinaus auf die Wiesen. Es war kein Theunissen-Vieh, das dort graste, denn schon Onkel Claas hatte die zum Hof gehörenden Ländereien verpachtet, und nach seinem Tod waren die Verträge erneuert worden.
Der Tag ging zu Ende, und die Schwarzbunten vor seinen Augen verschmolzen allmählich mit der sich ausbreitenden Dunkelheit.
Es war schön und doch auch bedrückend, daran zu denken, daß unter diesem Dach, von dessen Südseite ein schräg verlaufendes und verschaltes Stück sich zum Greifen nah über ihm befand, sein Vater und dessen fünf Geschwister ihre Kindheit verbracht hatten. Schon deshalb, weil es eine reiche Kindheit gewesen war, über die innerhalb der Familie viele Geschichten umgingen, und bedrückend, weil alle sechs nicht mehr lebten und das große Haus so oft leer stand, wenn man mal von Georgine absah. Und sie selbst empfand es genauso. Mehr als einmal hatte sie gesagt: »Es ist die Stille, die mich traurig macht.« Und dann hatte sie von dem Lärm erzählt, der damals die Räume erfüllte, sei es, daß die Kinder tobten oder der Großvater mit seinen Knechten schimpfte, daß Geburtstage oder Hochzeiten gefeiert wurden oder auch mal ein handfester Familienstreit durchs Haus wogte.
Er entsann sich eines grotesken Unfalls, der Tante Luise
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