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1992 Das Theunissen-Testament (SM)

1992 Das Theunissen-Testament (SM)

Titel: 1992 Das Theunissen-Testament (SM)
Autoren: Hinrich Matthiesen
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einiges mehr, hauchdünne Pfannkuchen zum Beispiel, von denen Federico behauptete, ihretwegen würde er sich bereit finden, seinen Lebensabend in Eiderstedt zu verbringen. Damit beglückte er Georgine, wie sie überhaupt in der Gesellschaft ihrer südländischen Gäste wie auf Wolken schwebte.
Nach dem Essen verabschiedeten sich die beiden Spanier und fuhren Richtung Fuhlsbüttel davon. In zweieinhalb Stunden ging ihr Flug nach Málaga.
Olaf und Georgine setzten sich noch einmal an den Tisch. »Ich hätte jetzt Lust auf einen Genever«, sagte er, obwohl er lieber beim Kaffee geblieben wäre. Sofort wurden Flasche und Gläser geholt, und dann stießen sie an auf eine allzeit gute Fahrt der Theunissen-Schiffe.
»Wenn Claas geahnt hätte«, sagte Georgine, »welches Ende dieser Wettkampf nehmen würde, hätte er bestimmt ein anderes Testament gemacht. Was passiert nun bloß mit Carsten und Hanna? Ihre Mutter sitzt in Untersuchungshaft, und ihr Vater hat sich verkrochen.«
»Ich werde mich um sie kümmern.«
»Das ist anständig von dir.«
»Nein, nein. Der alte Maynhard hat immer gesagt. Wenn ein Theunissen in Not gerät und keine Schuld daran hat, sollen die anderen ihm helfen. Hat er aber Schuld, dann ist die genau zu untersuchen, und wenn sich herausstellt, daß Unglück mit im Spiel war, muß man ihm auch helfen.«
»Und wenn einer Schuld hat, weil er ein von Grund auf böser Mensch ist? Was dann?«
»Dann ist er kein Theunissen. So jedenfalls urteilte der alte Maynhard. Wer weiß, vielleicht ist das gar nicht so überheblich, wie es sich anhört. Er kann damit ja auch gemeint haben, daß dieser böse Mensch kein Recht mehr hat, ein Theunissen zu sein, und daß man ihn aussondern muß.«
»Und so ist es nun gekommen«, klagte Georgine. »Nein!« Die Antwort kam sehr bestimmt. »Helga ist ja keine echte Theunissen, sondern nur angeheiratet.«
»Da hast du recht.«
»Und John ist nicht böse, nur schwach. Ganz tief da drinnen …«, Olafs Faust pochte leicht gegen die Brust, »hab’ ich gefühlt, daß er unschuldig ist. Aber dann hat mein Verstand sich eingemischt und mir gesagt, er muß es getan haben. Das war ein Irrtum, und ich bin heilfroh darüber.«
»Glaub mir, ich auch! Sag mal, kann es sein, daß man dich wieder einsperrt, wenn du rüberfliegst nach Amerika?«
»Falls es passieren sollte, sitz’ ich die Zeit eben ab.«
»Ich finde, die müßten dir sogar dankbar sein. Du hast ihnen doch gezeigt, wer die Täter sind.«
»Ja, aber das war nicht meine Aufgabe, und weder hier noch drüben sieht man es gern, wenn eine Privatperson Polizist spielt. Jetzt genug damit! Ich werde noch mal an den Deich gehen.«
»Zweimal an einem Tag?«
»Vorhin hab’ ich meinen Freunden die Gegend gezeigt. Das war was anderes.«
Er stand auf, strich über ihr schlohweißes Haar. »Schenk dir noch einen ein! Hast ja mitgelitten in all den Monaten.«
    Diesmal ließ er das Auto stehen, suchte sich denselben Weg aus, den sie als Kinder genommen hatten, nur daß es jetzt asphaltierte Straßen waren, die das flache Wiesenland durchzogen.
    Ihm fiel ein, wie der Großvater und er einmal mit dem Einspänner in der vom Regen aufgeweichten Wagenspur steckengeblieben waren. Nur mit Hilfe zweier Bretter, die sie erst herbeischaffen mußten und dann als Schienen benutzten, hatten sie sich wieder befreien können.
    Doch nicht nur die Wege waren heute anders beschaffen, auch die Höfe sahen verändert aus. Echte Haubarge gab es kaum mehr. Zwar ragten noch hier und da die gewaltigen Dächer aus der Ebene auf, doch waren die meisten von ihnen nicht mit Reet, sondern mit Schindeln gedeckt. Und auch die Arbeit der Bewohner hatte sich gewandelt. Je weiter es nach Westen ging und damit ans Meer, desto häufiger las man die Offerte. Ferienwohnung zu vermieten.
    Er bedauerte diese Entwicklung, verurteilte sie aber nicht, schließlich hatte die neue Zeit auch den TheunissenHof seiner ursprünglichen Bestimmung entfremdet. Landwirtschaft wurde dort ebenfalls nicht mehr betrieben, und daß aus dem geräumigen Haus kein Hotel geworden war, verdankte das Anwesen einem einzigen Mann, der es sogar über den Tod hinaus vor touristischer Nutzung bewahrt hatte. Er hatte die Deichkrone erklommen, blickte übers Watt. Das Wasser lief auf. Ein schmaler Streifen Schwemmland war schon überflutet. Er ging die Böschung hinunter und weiter, dem Meer entgegen, bis die ersten vorwitzigen Wellen seine Füße umspülten. Es machte ihm nichts aus, er trug Gummistiefel. Wie
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