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1992 Das Theunissen-Testament (SM)

1992 Das Theunissen-Testament (SM)

Titel: 1992 Das Theunissen-Testament (SM)
Autoren: Hinrich Matthiesen
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    Es war ein heißer Augusttag mit Temperaturen, wie Hamburg sie nur selten erlebte. Bereits morgens um zehn hatte man im Schatten achtundzwanzig Grad gemessen. Die Mittagsstunde hatte die Quecksilbersäule dann noch um vier weitere Grade nach oben getrieben. Jetzt war es drei Uhr am Nachmittag, und die Hitze ließ nicht nach, so daß die meisten der im Amtsgericht Hamburg, Abteilung für Nachlaßsachen, versammelten Männer und Frauen, die allesamt schon über die Lebensmitte hinaus waren, sichtbar litten. Sie hatten verschwitzte, aufgelöste Gesichter, fächelten sich mit Aktendeckeln oder auch mit der bloßen Hand Luft zu, und einige der Männer hatten trotz des feierlichen Anlasses die Jacken ausgezogen und sie über die Stuhllehnen gehängt.
    Sie saßen an einem langen Tisch, der deutliche Spuren jahrzehntelanger Nutzung trug. Einen der beiden Stirnplätze hatte der Rechtspfleger Kraft eingenommen. Ihm gegenüber saß der Notar Dr. Krogmann, den Claas Theunissen, der Erblasser, zum Testamentsvollstrecker bestimmt und dessen Anwesenheit bei der Eröffnung er verfügt hatte. Die Besucher waren zu je sechs an den Längsseiten des Tisches aufgereiht, aus Krogmanns Sicht linker Hand die Brüder Maynhard und Herbert Oldeboom mit ihrer Schwester Gesine Krages und dazu die Kinder von Peter Theunissen senior, nämlich Peter, Hans und Mira Theunissen, rechter Hand Katharina Theunissens Kinder Ludwig Eggert und Bärbel Hoffmann sowie die beiden Geschwisterpaare Olaf Theunissen/Hanna Ebeling und John Theunissen/Clara Bärwald.
    Es war nicht nur die große Hitze, die den zwölfen so zu schaffen machte, hinzu kam die innere Anspannung, die sich ihrer bemächtigt hatte, seit aus Chile der Bescheid vom Tod ihres Onkels Claas gekommen war, und die sich bis hin zu der für diesen Nachmittag anberaumten Testamentseröffnung immer weiter gesteigert hatte. Kein Wunder also, daß der Schar der Nichten und Neffen Erschöpfung und Nervosität von den Gesichtern abzulesen waren. Kein Wunder aber auch, daß trotz der drückenden Hitze alle erschienen, ja, einige sogar von weither angereist waren, sollte sich nun doch erweisen, nach welchem Verteilerschlüssel das riesige Vermögen des Onkels auf die Verwandtschaft kommen würde.
    Über den Umfang gab es bislang nur Vermutungen, abgesehen von dem, was für jedermann sichtbar oder doch errechenbar war wie die Schiffe und die Immobilien. Einzig Ludwig und Bärbel hatten vor vielen Jahren durch ihre Mutter, die Lieblingsschwester des Verstorbenen, von einer Zahl erfahren, die der Krösus ihr gegenüber genannt hatte. Allerdings war diese Zahl selbst für eine grobe Einschätzung vollkommen unbrauchbar, denn Claas Theunissen hatte der mit gespitzten Ohren Dasitzenden erklärt, die neunzig Millionen seiner Konten und seiner Aktien, Schiffe und Häuser also nicht eingerechnet, seien ihm wahrlich nicht in den Schoß gefallen. Die Mutter hatte die brennende Frage, ob es sich dabei um chilenische Pesos, D-Mark oder Dollar handele, nicht zu stellen gewagt, und damit war alles offengeblieben, denn ein Dollar war zu jener Zeit einige hundertmal soviel wert wie ein Peso. Da aber alle Erben die chilenischen Häuser durch Beschreibungen und die deutschen vom Sehen her kannten und außerdem wußten, daß da vierundzwanzig Theunissen-Frachter, jeder von respektabler Tonnage, ständig unterwegs waren, bedurfte es keiner übersteigerten Phantasie, um sich der Vorstellung hinzugeben, dieser glühendheiße Augustnachmittag könnte sie – trotz der zu erwatenden fiskalischen Einmischung – zu Millionären machen, und zwar nicht nur zu solchen mit mageren Pesos. »Sie sind«, begann der Rechtspfleger, der zwei weiße, verschlossene Umschläge im DIN-A4-Format vor sich auf den Tisch gelegt hatte, »vollzählig erschienen und haben sich ausgewiesen. Vor mir liegt das Testament Ihres Onkels Claas Theunissen, und zwar hier …«, mit der Linken tippte er kurz auf den ersten Umschlag, »die deutsche Fassung und hier«, seine Rechte legte sich auf den zweiten, »die spanische. Jeder von Ihnen bekommt eine Ausfertigung des spanischen wie auch des deutschen Textes, bei dem es sich um eine vom Konsulat vorgenommene offizielle Übersetzung handelt. Haben Sie, bevor ich mit der Verlesung anfange, noch Fragen?« Er blickte die beiden Reihen entlang.
    »Ja«, sagte nach einer Weile Hans Theunissen. »Soweit uns bekannt ist, hat Onkel Claas sein Testament vor vier oder fünf Jahren gemacht und darin uns allen
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