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1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman
Autoren: Aufbau
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eine Kameradschaft von Bündnispartnern, die auf wertvollen Teppichen vorm elektrischen Kamin saßen und Palmach-Lieder sangen, während draußen vor der Tür ihre Daimler parkten. Und wir alle, das Fußvolk, die Mehrheit der einfachen Kampfsoldaten, die die Arbeit getan hatten und am Leben geblieben waren, wir sind außen vor geblieben.
    Zweitausend Juden, die noch vor der illegalen Einwanderung auf klapprigen Schiffen nach Palästina kamen, meist unter der Ägide der revisionistischen Jugendorganisation Betar, sind vergessen. Kein Mensch zählt sie zuden Helden des Unabhängigkeitskriegs. Ein deutscher U-Boot-Matrose, der das kleine Dampfschiff »Mefkure« nach Beschuss sinken und die Insassen über Bord springen sah, sagte: »Die Juden schwimmen nach Palästina.« Auch sie sind nicht Palmach und nicht Hagana und nicht Etzel, sind kein gar nichts. Genau wie die namenlosen Kämpfer, die nach dem Krieg gerade mal sechs Pfund ausbezahlt bekamen.
    Es gibt tendenziöse Bücher. Tendenziöse Filme. Gelehrte Aufsätze über Gefechte, die ich mitgemacht habe, aber in den Texten nicht wiedererkenne. Die Vergangenheit wird so gefärbt, wie sie in Erinnerung bleiben soll. Die überlebenden Kämpfer, die nicht mehr zur Palmach gezählt werden, versuchen bis heute, ihre Wunden zu heilen, den Alpträumen zu entfliehen, von denen sie seit dem Krieg heimgesucht werden. Nur wenige haben etwas getan, das in die Nachwelt eingegangen wäre oder ihnen was eingebracht hätte. Wir sind ein Tropfen im Meer der Erinnerungen an die Helden der Palmach. Die großen Krieger, die wir waren, wurden Berufsfahrer, Matrosen, Hafenarbeiter oder Bergleute im Negev. Ihr Andenken ist ausgelöscht, nur ihre eigenen Erinnerungen sind ihnen geblieben.
    Ich habe die Palmach nicht zu ihren Glanzzeiten Anfang der vierziger Jahre gekannt, als ihre Mitglieder in Kibbuzim arbeiteten und Hühner aus den Ställen klauten und am Lagerfeuer sangen und schließlich gemeinsam draufpinkelten, um es zu löschen. Die Palmach, die ich im Krieg erlebte, war eine andere. Sie bestand aus kämpfenden Bataillonen. Sie war kein netter Haufen. Sie war ein geniales und brutales, kluges und mutiges und wütendes Werkzeug, das – ohne es zu wissen – auszog, um einen Staat für das jüdische Volk zu errichten.
    Wie immer in Kriegen, weiß meist kein Mensch, wer die Soldaten waren, die wirklich kämpften. Wir waren einander Kameraden, aber Kamerad bedeutet Waffenbruder, nicht unbedingt Freund. Wir waren einander nah, und heute weiß kein Mensch mehr, wer wir waren. Kein Mensch hat von Fisch gehört. Von Menachem. Vom Pferd. Von Chanoch. Von Rafi. Von Tibi. Von Arie. Von Amnon. Von Kuschi. Von Iska dem Partisanen. Wir waren einfache Soldaten, und das sind wir auch geblieben.
    Im Sommer 1955 kam ich auf Besuch aus Amerika zurück. Ich machte Ausflüge, traf Freunde. Am Bab el-Wad, an der Mauer der ersten Pumpstation, stand in großen Lettern »Baruch Dschamili«. Das gefiel mir, dass ein völlig Unbekannter, der im Krieg gekämpft hatte, schon damals wusste, was man später einmal totschweigen würde, als zur »Generation der Palmach« nur noch die Kommandanten, die nicht selbst gekämpft hatten, zählten. Deshalb hatte er seinen Namen in großen Lettern an der Straße nach Jerusalem hingepinselt. Vor ein paar Jahren hat man die Inschrift gelöscht. Ich weiß nicht, wer es getan hat, aber für mich war es so, als hätte man die Klagemauer abgeschafft und daraus das gemacht, was man jetzt mit der Wüste anstellt: die Wand eines Luxushotels für reiche Leute. Sein Name hätte stehenbleiben sollen. Ich habe keine Ahnung, wer er war, aber er war seinerzeit mit uns dort.
    Und eines Abends, in einer kleinen Bar am damaligen Platz der Könige Israels, traf ich einen Mann, den ich aus der Harel-Brigade kannte. Er war einige Jahre älter als ich, ein harter Typ, den ich als ausgezeichneten Kämpfer in Erinnerung hatte. Wir setzten uns zusammen und tranken Scotch, der in Israel Whisky heißt, und schwelgten in Erinnerungen. Dabei wollte ich mich damals eigentlich nichterinnern. Je mehr ich vergessen konnte, desto wohler war mir. Der Mann lebte jedoch immer noch dort, in den Jerusalemer Bergen. Er sagte, er sei nie von dort zurückgekehrt. Er sagte, der Krieg habe nicht aufgehört, wie viele meinten. Viele, vielleicht sogar die überwiegende Mehrheit, seien nach dem Krieg heimgegangen, hätten ihn an den Nagel gehängt und ihr Leben fortgesetzt. Erst viele Jahre später würden die meisten
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